International

Türkei: Erdogans Drahtseilakt als Vermittler im Ukraine-Krieg

Auf Initiative der türkischen Regierung kommen am Donnerstag die Außenminister Russlands und der Ukraine in Antalya zu Gesprächen zusammen. Präsident Erdogan vollführt einen gewagten Balanceakt – er will so auch sein politisches Überleben sichern.
von Kristina Karasu · 9. März 2022
Autokraten unter sich: Der türkische Präsident Erdogan (l.) und sein russischer Kollege Putin, hier am 29.09.2021 in Sochi. Was beide eint, ist das Narrativ „Der Westen ist schuld“.
Autokraten unter sich: Der türkische Präsident Erdogan (l.) und sein russischer Kollege Putin, hier am 29.09.2021 in Sochi. Was beide eint, ist das Narrativ „Der Westen ist schuld“.

Noch im vergangenen Sommer strömten Millionen russischer und ukrainischer Tourist*innen in die südtürkische Ferienregion Antalya, übernachteten in den selben Hotels, feierten in den selben Strandbars. Am Donnerstag wird Antalya zum Ort der Hoffnung auf Frieden: Dort sollen zum ersten Mal seit Kriegsbeginn die Außenminister von Russland und der Ukraine zu Gesprächen zusammenkommen. Initiiert wurde das Treffen von der türkischen Regierung.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu betont am Montag, seine Regierung hätte riesige Anstrengungen unternommen, um sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland im Dialog zu bleiben. Präsident Erdogan hätte seit Kriegsausbruch 19 Telefongespräche mit beiden Seiten auf präsidialer Ebene geführt, er selbst 40 Gespräche auf ministerialer Ebene. „Unsere oberste Priorität ist es, dass die Kämpfe so schnell wie möglich gestoppt werden“, so Cavusoglu gegenüber Journalist*innen.

Erdogan will Putin nicht verprellen

Tatsächlich vollführt Ankara derzeit einen heiklen Drahtseilakt. Die Türkei verurteilte die Invasion Russlands schnell und bekannte sich so klar wie seit langem nicht zur NATO, deren Mitglied sie seit 70 Jahren ist. Der Ukraine lieferte sie schon vor der Invasion unbemannte Bayraktar-Kriegsdrohnen, produziert von Erdogans Schwiegersohn. In der vergangenen Woche sandte sie 23 Lastwagen mit Hilfslieferungen ins Kriegsgebiet und sperrte den Bosporus für russische Kriegsschiffe, sehr zum Wohlwollen des Westens.

Zugleich versucht Erdogan, Putin nicht allzu sehr zu verprellen. „Wir können weder auf die Ukraine noch auf Russland verzichten“, so der türkische Staatspräsident. Die Beziehungen seines Landes zu Russland sind wirtschaftlich vielfältig: Aus Russland kommen die meisten Tourist*innen ins Land, aus Russland bezieht die Türkei mehr als 33 Prozent ihrer Erdgas- und 70 Prozent ihrer Weizenimporte. Andersherum exportiert die Türkei vor allem Obst, Gemüse und Textilien, auch türkische Bauunternehmen sind seit Jahren in Russland aktiv.

Türkei: Keine Sanktionen gegen Russland

Wohl deshalb hat sich die Türkei bisher den Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht angeschlossen. Ebenso ist der türkische Luftraum bisher noch nicht für russische Flugzeuge gesperrt. Außenminister Cavusoglu verteidigt dies damit, dass damit russischen Menschen die Möglichkeit gelassen werde, nach Europa zu gelangen. Tatsächlich sind in den vergangenen Tagen zahlreiche kritische russische Journalist*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen in die Türkei geflohen. Die meisten von ihnen haben den Krieg in der Öffentlichkeit verurteilt und sind nun in ihrer Heimat Verfolgung ausgesetzt. Insbesondere seit dem neuen russischen Mediengesetzt, wonach Menschen, die „Falschinformationen“ über den Krieg verbreiten, bis zu 15 Jahre Haft drohen.

In die Türkei können Russ*innen visumsfrei einreisen, die Gast- und Hilfsbereitschaft ist traditionell groß. So wird das Land zur Zuflucht, obwohl einheimische Oppositionelle und Journalist*innen hier ebenfalls unter immensem politischem Druck stehen. Kritische Geister werden von Erdogan immer wieder zur Zielscheibe erklärt – ob Anwältin, Arzt oder Journalistin.

Strategien Erdogans und Putin ähneln sich

Ohnehin ähneln sich die politischen Strategien von Putin und Erdogan in vielen Punkten frappierend. In den ersten Jahren ihrer Amtszeit bemühten sich beide um gute Beziehungen zum Westen und konnten mit einem bemerkenswertem Wirtschaftswachstum glänzen. Doch sobald dieser Boom ins Stocken geriet, setzten beide Staatsführer auf einen nationalistischen, immer autoritäreren Kurs. Beide, so sagt man sich, sind nur noch von Berater*innen umgeben, die keinerlei Kritik mehr wagen und über die wahre Lage ihrer Länder schweigen. Der Westen, so ein beliebtes Narrativ von Moskau wie von Ankara, ist Schuld an allem Unheil.

Das mag der Grund sein, warum sich Erdogan und Putin in den vergangenen Jahren angenähert haben. Dabei kennt ihre Beziehung viele Höhen und Tiefen. 2015 kam es nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch türkisches Militär im türkisch-syrischen Grenzgebiet zu einer ernsthaften Krise. Putin nannte den Abschuss ein Verbrechen, beschuldigte die Türkei der Kooperation mit radikalen Islamist*innen und überzog das Land mit Sanktionen. Erdogan gab schließlich klein bei, entschuldigte sich einige Monate später wohl schriftlich bei Putin.

Konflikte zwischen Ankara und Moskau

Die Annäherung Erdogans an Putin gipfelte in Ankaras Ankauf von russischen S-400 Raketenabwehrsystemen. Die NATO zeigte sich alarmiert. Die Türkei rechtfertigte sich und erklärte, die USA hätten ihr keine Wahl gelassen, weil Ankara der Kauf von Patriot-Raketen verwehrt worden sei. Seither haben sich Erdogan und Putin miteinander arrangiert, respektieren die Machtsphären des anderen – auch wenn sie in Syrien, Libyen oder Berg-Karabach auf verschiedenen Seiten stehen. Sie klären ihre Interessenskonflikte lieber hinter verschlossenen Türen.

Im westlichen Bündnis sorgte das bisher für Misstrauen. Im Ukraine-Krieg kann das allerdings eine Chance sein. Erdogans Nähe zu Putin könnte den Boden für Friedensgespräche bereiten, so hofft Ankara. Berlin scheint ähnliche Hoffnungen zu hegen, nicht ohne Zufall will Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag Erdogan in Ankara besuchen.

Verbindung der Autokraten

Sollte es Erdogan gelingen, Putin umzustimmen – so unwahrscheinlich das auch ist – könnte er damit sein Ansehen in der NATO und im eigenen Land enorm steigern. Sollte Putin jedoch an Macht verlieren, könnte Erdogan dasselbe drohen. Deshalb ist es in Erdogans eigenem Interesse, diesen Krieg mit friedlichen Mitteln zu lösen.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare