TTIP: Wie die Sozialdemokraten Einfluss nehmen
TTIP: Vier Buchstaben, die die Bundesrepublik spalten. Dabei ist die geplante transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA ein Unterfangen, welches sich zurzeit noch in einem relativ frühen Stadium der Verhandlungen befindet. Dennoch: TTIP bedeutet für die einen den sicheren Untergang unserer Wertegesellschaft, für die anderen einen Ausweg aus jeglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Gegensätzlicher könnten die Meinungen nicht sein.
Globalisierung verlangt Regeln
Moderne Handelsabkommen, so auch TTIP, haben im Vergleich zu früheren Handelsabkommen erweiterte Gestaltungsbereiche. Neben Zöllen und Quoten geht es auch um Standards und um den Handel begleitende Regeln. Insofern wird in den TTIP Verhandlungen auch in drei Körben verhandelt: Marktzugang, regulatorische Kooperation und Regeln für den gemeinsamen Handel.
Diese Veränderung der Handelsabkommen ergibt sich aus der Tatsache, dass Zölle durchschnittlich relativ gering sind, aber abweichende technische Vorschriften, duplizierte Zertifizierungsanforderungen und unübersichtliche Zollabfertigungsprozeduren viele Probleme bereiten, gerade für kleine und mittlere Unternehmen. In einer globalisierten Weltwirtschaft sind das die neuen Herausforderungen. Wir brauchen Vereinbarungen, die hohe Standards in diesen Fragen garantieren.
Transparenz ist Pflicht
Zudem werden heutzutage immer weniger Fertigprodukte, sondern zunehmend Vor- und Zwischenprodukte zwischen Staaten gehandelt, dies macht inzwischen 70% des Welthandels aus. In Deutschland machen Importe heute 40 Prozent des Wertes unserer Industrieexporte aus.
Dass sich Wertschöpfungs- und Fertigungsketten über Regionen und Kontinente hinweg erstrecken, ist ein Merkmal der Globalisierung. Bei diesen globalisierten Wertschöpfungsketten kommt es ebenso auf die Standardsetzung an, Globalisierung verlangt aber auch den Handel begleitende Regeln, die Sozial- und Umweltdumping verhindern. Einen guten Startpunkt hierfür bieten die Gespräche zwischen den zwei größten Wirtschaftsräumen der Welt. Regeln, die wir gemeinsam aufstellen, haben Vorbildcharakter. So hat ein gut ausgehandelter TTIP-Vertrag das Potential, den Welthandel fairer zu gestalten.
Natürlich gibt es auch andere Interessen. Für Sozialdemokraten gibt es aber eine klare Geschäftsgrundlage, die gilt und nicht unterlaufen wird: der Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014. Ausgehend von diesem Beschluss haben Sozialdemokraten sich ans Werk gemacht und den Verhandlungsprozess nachhaltig beeinflusst.
Transparenz ist durchgesetzt
Im Europäischen Parlament haben wir Sozialdemokraten durchgesetzt, dass ausgehend von 13 Mitgliedern des Parlaments, die vollen Zugang zu allen Dokumenten hatten, nunmehr alle 751 Mitglieder vollen Zugang zu den drei Ebenen der vertraulichen Dokumente haben. Dies ermöglicht, sich ein umfassendes Bild der Verhandlungen zu machen und auf Grundlage dessen Einfluss auf die Verhandlungsführer zu nehmen.
Des Weiteren wurde das Verhandlungsmandat im Oktober 2014 und seit 1.1.2015 auch grundlegende Verhandlungsdokumente für jedermann zugänglich im Internet veröffentlicht. Nun haben wir auch noch durchgesetzt, dass die Protokolle der Verhandlungsrunden im Netz bereitstehen. So ist sichergestellt, dass sich jedermann über die Verhandlungen informieren kann.
Daseinsvorsorge und kulturelle Vielfalt schützen
Das Europäische Parlament (EP) hat am 8. Juli 2015 eine maßgeblich von uns Sozialdemokraten geprägte Resolution mit seinen roten Linien und Anforderungen an ein TTIP-Abkommen verabschiedet. Die Messlatte des EPs liegt hoch: Wir haben uns für starke und verbindliche Arbeitnehmerrechte ausgesprochen.
Unverhandelbar sind der unmissverständliche Schutz der Daseinsvorsorge und kulturellen Vielfalt, wie auch unsere Verbraucher- und Umweltstandards. Gleichzeitig muss TTIP Zölle senken, Zollabfertigungen vereinfachen, gleichwertige Standards auf einem hohen Niveau gegenseitig anerkennen, Dienstleistungen nur gemäß dem Positivlistenansatz den Marktzugang öffnen und den Schutz geographischer Herkunftsbezeichnungen garantieren.
Unabhängige Richter müssen entscheiden
Auch in Punkto Investitionsschutz haben wir eine klare Botschaft an die EU-Kommission und den Rest der Welt gesendet: Private, intransparente und undemokratische Schiedsstellen gehören der Vergangenheit an!
Und die Europäische Kommission ist diesen Weg nach langem Zögern mitgegangen. Vor einigen Wochen hat sie das Modell eines Investitionsgerichtshofes als neues System vorgestellt und an die Amerikaner übermittelt. Ein ordentlicher Gerichtshof mit transparenten Verfahren, in denen öffentlich ernannte unabhängige Richter entscheiden, und eine verbindliche Revisionskammer sollen den Kern des neuen Systems darstellen.
Klar ist, dass es ausschließlich um den Schutz gegen Diskriminierungen geht und das Recht der Gesetzgebung und der Änderung von Gesetzgebungen kein Verletzen von Investorenrechten darstellt. Dieses System hat weltweit Interesse und Lob als Modell eines fairen Instrumentes für Investitionsschutz hervorgerufen, bei interessierten Drittstaaten wie auch internationalen Organisationen wie der United Nations Conference on Trade and Development.
Ein gutes Beispiel für die Anwendbarkeit des Modells ist das jüngst abgeschlossene EU-Vietnam Handelsabkommen. Damit wird dieses neue System erstmalig Realität und soll letztendlich zu einem internationalen Investitionsgerichtshof führen.
Arbeitnehmerrechte stärken
In Sachen Arbeitnehmerrechte hat es eine sehr positive Entwicklung gegeben. Die EU-Kommission ist dem umfassenden und ehrgeizigen Vorschlag des Europäischen Parlamentes gefolgt und ist im EU-Vorschlag für das TTIP-Nachhaltigkeitskapitel so weit gegangen wie nie zuvor. Die Anerkennung und Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) findet hier ebenso prominent Platz wie die soziale Verantwortung von Unternehmen.
USA kommt EU nicht entgegen
Nach bislang elf Verhandlungsrunden lässt sich vor allem eins festhalten: Viel hat sich insgesamt noch nicht bewegt. Vor allem die amerikanische Seite hat sich bislang sehr verhalten gezeigt und ist nicht bereit, Zugeständnisse in für uns Europäer zentralen Verhandlungsbereichen zu machen. Ein Beispiel hierfür ist der Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens. Wenn amerikanische Unternehmen für öffentliche Aufträge in Europa bieten können, sollte dies auch umgekehrt möglich sein. Auf einen Vorschlag der Amerikaner warten wir aber seit Monaten vergeblich.
Auf amerikanischer Seite war der Abschluss eines Handelsabkommens im Pazifischen Raum erste Priorität. Es gibt nun einen Text, aber ob der Kongress diesen akzeptiert ist unklar. Zudem nimmt der Präsidentschaftswahlkampf Fahrt auf. Mit einem schnellen Abschluss der Gespräche ist nicht zu rechnen.
CETA muss nachgebessert werden
Wir Sozialdemokraten werden weiterhin Einfluss auf die Verhandlungen nehmen und für ein Abkommen kämpfen, das unsere Werte und Interessen beinhaltet. Dass sich das kämpfen lohnt, steht außer Frage. Denn TTIP kann die Chance bieten, faire Regeln für den Welthandel aufzustellen. Diese sollte man nutzen.
Wir werden natürlich nicht nur bei TTIP für unsere Werte und Ziele einstehen, sondern bei allen Handelsabkommen, die die EU mit Drittstaaten abzuschließen gedenkt - allen voran beim EU-Kanada Abkommen CETA, dass lange vor TTIP im EP aufschlagen wird. Für uns ist dabei klar, dass nur ein Abkommen, welches unsere Haltung zum Investitionsschutz beinhaltet, von uns unterstützt werden kann. Den gegenwärtigen CETA-Text, der weiterhin undemokratische Schiedsstellen beinhaltet, können wir deswegen nur ablehnen. Hier muss dringend nachgebessert werden, den dazu notwendigen Spielraum sehen wir allemal gegeben.
Die Verhandlungsführer sind gut daran beraten, uns Gehör zu schenken. Denn am Ende des Tages haben wir direkt gewählten Europaabgeordneten das letzte Wort, denn: Ohne die Zustimmung des EPs kann kein EU-Handelsabkommen in Kraft treten. Diese Funktion als demokratisches Gewissen der EU-Handelspolitik haben (siehe die Ablehnung des ACTA-Abkommens) und werden wir Sozialdemokraten auch in Zukunft nachdrücklich und gewissenhaft ausüben.
ist Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel und TTIP-Berichterstatter des Europäischen Parlaments.