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Tsipras kämpft weiter, aber Berlin ist nicht der Gegner

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras stattet seinen Antrittsbesuch in Berlin ab. Ein Blick auf die entscheidenden Fragen zum Schuldenproblem und den deutschen Fehler, den aktuellen Streit als Angelegenheit allein zwischen Athen und Berlin zu sehen.
von Peter Riesbeck · 24. März 2015
Griechenlands Premier Alexis Tsipras traf Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erst nach Vertretern der Linkspartei und der Grünen
Griechenlands Premier Alexis Tsipras traf Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erst nach Vertretern der Linkspartei und der Grünen

Man redet wieder miteinander, immerhin. Nach dem Gespräch zwischen Kanzlerin Angela Merkel und dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras hieß es, die beiden hätten „in guter und konstruktiver Atmosphäre eine umfassende Aussprache“ gehabt. Eine diplomatische Formulierung, die sachliche Differenzen freundlich umschreibt. Deutschland wisse nun, dass die Griechen nicht „faul“ seien (Tsipras) und dass man sich um eine gemeinsame Lösung bemühe (Merkel). Außerdem gab es eine Einladung zum Gegenbesuch für die Kanzlerin. Doch jetzt zu den Differenzen und Missverständnissen.

Die Kassenlage Griechenlands

Griechenland muss am Ende des Monats Renten und Gehälter für Staatsbedienstete auszahlen. Machbar, sagen Finanzexperten. Kritisch wird es nach Ostern. Am 8. April muss Griechenland dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Kredite in Höhe von 450 Millionen Euro zurückzahlen. Bis zum 14. April müssen kurzfristige Anleihen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro bedient werden. Auch deshalb hatte Tsipras in einem Brief vom 15. März um ein Treffen mit der Kanzlerin gebeten. Aus der Finanznot gibt es kurzfristig nur zwei Auswege: Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte Griechenlands Banken erlauben, Kurzfrist-Anleihen des griechischen Staates zu kaufen. Aber das ist unwahrscheinlich, die EZB hat diese Maßnahme zuletzt auf 69,8 Milliarden Euro begrenzt. Zweite Option: Griechenland bekommt 7,2 Milliarden Euro an Krediten, die Euro-Staaten und IWF schon bereitgestellt haben. Tsipras hofft vor allem auf eine vorzeitige Auszahlung von 1,9 Milliarden Euro, die die EZB mit griechischen Staatsanleihen verdient hatte. Das Problem: Tsipras muss zuvor eine Reformliste vorlegen.

Der Deal mit Athen

Diese Reformliste hat Griechenland am 20. Februar zugesagt, bislang ist sie aber unzureichend. In einem Sondertreffen am Rande des EU-Gipfels in der Vorwoche hatte Tsipras versprochen, die Liste „in wenigen Tagen“ zu präsentieren. Bei seinem Besuch in Berlin nannte er nun erstmals Einzelheiten. So soll das Rentenalter von derzeit 62 Jahren auf 67 Jahre angehoben werden. Aber noch bleiben die Reformvorschläge unvollständig. Die EU-Kommission hatte am Montag zur Eile gemahnt. Die Vorschläge müssten rasch kommen, so ein Sprecher. Doch aus Athen verlautete am Dienstag dazu: „Das wird bis spätestens Montag geschehen.“ Also, weiter warten bis in die Karwoche.

Das Selbstverständnis von Alexis Tsipras

Linkspolitiker Alexis Tsipras ist im Januar gewählt worden. Eine kleine Geste bei seinem Besuch in Berlin verdeutlicht sein Selbstverständnis. Vor dem Kanzleramt ließ er seine Limousine stoppen und gesellte sich zu Demonstranten gegen Merkels Sparpolitik. Tsipras versteht sich als Mann des Volkes gegen Europas Austeritätspolitik. Auch in Berlin beharrte er: „Wir brauchen einen neuen Mix.“ Sein Programm zeigt das ebenfalls. Merkel steht zwar ganz oben, was selbstverständlich beziehungsweise unumgänglich ist. Aber danach traf Tsipras Vertreter von Linkspartei und Grünen, noch bevor er am Dienstag mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesprochen hatte. Das Treffen mit der Opposition soll zeigen: Er kämpft nicht allein gegen Merkels Kurs.

Das Missverständnis von Alexis Tsipras

Aber Tsipras verkennt die Lage. Zwar herrscht in Europa Unmut über Merkels Sparkurs, doch Tsipras Regierung findet keine Unterstützer. Italien verprellte Griechenlands Regierung, weil sie leichtfertig erklärte, Roms Schuldenproblem sei größer als das Athens. Frankreichs sozialistischer Präsident François Hollande konnte Griechenland nicht entgegenkommen, weil er vor den Départementswahlen im März dem antieuropäischen Front National von Marine Le Pen kein Kampagnenthema bescheren mochte. Und Spaniens konservative Regierung fürchtet die linkspopulistische Kraft Podemos bei den Wahlen im Herbst. Deshalb stellte Spaniens konservativer Wirtschaftsminister Luis de Guindos kürzlich klar, dass die zugesagten Kredite Griechenland erst ausbezahlt werden könnten, wenn die Reformen vollständig umgesetzt seien. Auf Entgegenkommen der Euro-Gruppe kann Griechenland also nicht hoffen. Tsipras ist reichlich isoliert. Ohne Verbündete lässt sich wenig holen in Europa.

Die Last der Nazi-Vergangenheit

Tsipras Besuch des Holocaust-Mahnmals am Dienstag ist mehr als eine Geste an die Opfer der Shoah. Es geht um die Last der Geschichte. Und auf die hatte Tsipras sich zuletzt mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg emsig bemüht. Einmal geht es um eine Zwangsanleihe, die Nazi-Deutschland den Griechen während der Besatzung durch die Wehrmacht abpresste: 476 Millionen Reichsmark, nach heutigem Wert etwa acht bis elf Milliarden Euro. Daneben geht es um Reparationen für deutsche Kriegsverbrechen in Griechenland während des zweiten Weltkriegs. Die Bundesrepublik hatte Athen 1960 einen Ausgleich von 110 Millionen D-Mark zuerkannt (heutiger Wert ungefähr 460 Millionen Euro). Die rechtliche Lage ist schwierig. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier versuchte am Sonntag bei einem Treffen mit seinem griechischen Kollegen Nikos Kotzias – beide haben in Gießen studiert – die Lage etwas zu entkrampfen. Steinmeier regte eine Zukunftsgruppe an, die sich jenseits rechtlicher Fragen der Entschädigung mit politischen Themen befassen soll.

Die Grenzen der EU-Vermittler

Die Reduzierung auf die deutsch-griechische Geschichte stärkt Tsipras’ moralisches Gewicht. Sie erschwert aber auch eine Verständigung mit Berlin. Vor allem EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, haben sich zuletzt um eine Vermittlung bemüht. Aber selbst Juncker ließ über seine Getreuen streuen, er habe „seine Grenzen erreicht“. Sollte das Unerwünschte kommen, ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, will er es nicht gewesen sein. Die Verantwortung läge dann in Berlin.

Die Wahrheit über die Währungsunion

Der Staatsbesuch war gut für die Atmosphäre, aber im Kern kein echter Fortschritt. Denn das grundsätzliche Problem bleibt: Insgesamt muss Griechenland bis Jahresende 17,4 Milliarden Euro an Kreditlasten bedienen. Bis 2020 stehen nach Aussagen des griechischen Vize-Premier Gianis Dragasakis 43 Milliarden Euro an Zinsleistungen und 83 Milliarden Euro an Tilgungslasten an. Ohne einen Schuldenschnitt wird es nicht gehen. Das ist die unangenehme Wahrheit, die sich niemand auszusprechen traut. Und auch deshalb wird der Streit so erbittert geführt. Es geht im Kern um die unausweichliche Tatsache: Eine Währungsunion ist auch eine Transferunion. Anders formuliert: Griechenland ist das Saarland Europas. Und wer aus Bayern jetzt krakeelt, der sei daran erinnert, wer jahrelang vom Länderfinanzausgleich profitierte.

Autor*in
Peter Riesbeck

ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.

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