International

Tödliche Hilfe

von Susanne Dohrn · 19. Oktober 2011
placeholder

Dambisa Moyo ist eine kluge Frau. Sie hat in Harvard studiert, in Oxford promoviert, als Beraterin bei der Weltbank gearbeitet und als Ökonomin bei Goldman Sachs. "Time Magazin" wählte sie zu den hundert einflussreichsten Menschen weltweit und das Weltwirtschaftsforum ernannte sie zum Young Global Leader. Ihre Karriere ist auch eine afrikanische Erfolgsgeschichte: Moyos Großväter waren Hausknecht, bzw. Minenarbeiter, ihre Mutter wurde Bankerin in Sambia, der Vater dort Professor.

Warum scheitert Afrika?

Dambisa Moyo hat, wie viele gut ausgebildete Afrikaner, ihrem Land den Rücken gekehrt. Die "wuchernde Bürokratie", der "nie endenden Kreislauf aus Korruption, Krankheiten, Armut und Entwicklungshilfe-Abhängigkeit" hätten dazu geführt, dass es für sie "immer weniger Gründe (gab) zurückzukehren, und immer mehr, fortzubleiben", schreibt sie.

Derzeit lebt sie in London, aber das Thema Afrika treibt sie um. Schon seit ihrer Zeit als Studentin frage sie sich, warum die Länder Afrikas - anders die Schwellenländer in Asien und Lateinamerika - "keinen Weg zu wirtschaftlicher Prosperität gefunden" hätten. In ihrem Buch hat sie sich auf die Suche nach den Gründen und einer "nachhaltigen Lösung für Afrikas Nöte" begeben.

Die Wurzel des Übels

"Millionen Afrikaner sind heute ärmer - nicht trotz, sondern aufgrund der Entwicklungshilfe", schreibt Dambisa Moyo. Dabei klagt sie weniger die humanitäre, karikative oder Katastrophenhilfe an, sondern vor allem die ständige Entwicklungshilfe, also die direkten Hilfszahlungen an Regierungen durch einzelne Länder oder die Weltbank. Ihr Argument: Geld, das ständig und in substantiellen Mengen fließt, fördert Abhängigkeit und Korruption, es verhindert den Aufbau der Wirtschaft und eines funktionierenden Steuersystems.

Moyo: "Wenn die Anstrengungen lediglich darin bestehen, die Schecks einzulösen und sich ansonsten zurückzulehnen, gibt auch keinen Anreiz für eine langfristige Finanzplanung und keinen Grund, nach Finanzierungsalternativen zu suchen." Länder wie Botswana, die sich dem Tropf der Hilfe verweigert haben, stünden heute besser da.

"Neoliberale" Lösungen

Um der Enwicklungshilfe-Abhängigkeit zu entkommen, schlägt Moyo vor, dass die Gelder über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren auslaufen sollen. Die Staaten, viele von ihnen reich an Bodenschätzen, sollte sich stattdessen z.B. über Staatsanleihen finanzieren. Das klingt in Zeiten von Banken- und Griechenlandkrise ein wenig absurd. Andererseits hat die Ökonomin sicher Recht, wenn sie behauptet, es bestehe ein steigendes Interesse von Investoren an aufstrebenden Ökonomien. Schließlich gibt es mehr als genug Kapital, das auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten um die Welt schwappt.

Der Vorschlag allerdings hat ihr den Vorwurf eingehandelt, mit abgewirtschafteten neoliberalen Konzepten den afrikanischen Kontinent retten zu wollen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, hat Moyo doch die prägenden Jahre ihrer Ausbildung und Karriere zu Hochzeit dieser ökonomischen Schule verbracht. Trotzdem sind ihre Überlegungen lesenswert.

2007 fuhr ein schwedischer Industrieller mit seinem Motorrad die 12 000 Kilometer von Kairo nach Kaptstadt, erzählt Dambisa Moyo. 85 Prozent der Straßen, die er befuhr, waren gut geteert und immer wieder sah er Straßenschilder: "Diese Straße wurde mit der großzügigen Unterstützung der Regierung der Volksrepublik China gebaut." China so scheint es, scheut sich nicht, in Afrika zu investieren, vor allem um sich die immensen Rohstoffvorkommen auf dem Kontinent zu sichern.

Im Westen wird das mehr als kritisch gesehen. Der jedoch solle sich lieber an die eigene Nase fassen, so Moyo. Schließlich bekomme Afrika kurzfristig auf diese Weise, was es brauche, nämlich dringend benötigtes Kapital zur Finanzierung von Investitionen, Arbeitsplätzen und Wachstum. "All die Dinge, die Entwicklungshilfe versprochen hat, aber nie zu liefern imstande war."

Westlicher Protektionismus

Gegen Ende ihres Buches kommt Dambisa Moyo auf einen Punkt zu sprechen, den viele Wissenschaftler für den wichtigsten halten: Einfuhrzölle und Subventionen für die Landwirtschaft in der westlichen Welt, egal ob für Zucker, Baumwolle, Weizen oder Milchprodukte. Dambisa Moyo. "Jede europäische Kuh wird mit zwei Euro pro Tag subventioniert. Das ist mehr als das, was eine Milliarde Menschen, viele von ihnen Afrikaner, pro Tag zum Leben haben." Eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit.

Diese Subventionen erlauben es den westlichen Industriestaaten zudem, ihre überschüssigen Waren im Ausland zu billigen Preisen zu verkaufen. Ganz nebenbei machen sie damit auch die Märkte in Afrika kaputt. 500 Milliarden an Einnahmen würde Afrika dadurch jedes Jahr verlieren, so Moyo. 500 Milliarden, die an Einkommen, an Kaufkraft, an wirtschaftlichen Impulsen fehlen. Ein Verlust, der mit noch so viel Entwicklungshilfe nicht auszugleichen ist.

Neoliberal aber nicht doof

Moyo hat sich für dieses Buch viel Kritik eingehandelt. Ihre Zahlen seien nicht belegt oder würden nicht stimmen, so einige Vorwürfe. Ihr Vertrauen in den Markt scheint ziemlich unbegrenzt, auch das sorgt für - berechtigte - Kritik. Dennoch hat das Buch ein großes Verdienst: Es attackiert die Grundfesten einer Hilfs-Industrie, die kaum kritisch hinterfragt werden. Da waren wir schon mal weiter: 1985 kam eine Sozialdemokratin und Mitarbeiterin im Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Schluss, "dass es den Armen durch unsere Hilfe schlechter geht als vorher". Brigitte Erler kündigte und schrieb über ihre Erfahrungen ein Buch. Der Titel: "Tödliche Hilfe".

Dambisa Moyo: "Dead Aid" Aus dem Englischen von Hendrik Lorenzen, Haffmans & Tolkemitt, Hamburg 2011, 226 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-942989-01-5

Autor*in
Avatar
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare