Die unabhängige afghanische Wahlkommission berichtete, dass manche der mehr als 6.500 Wahlzentren wegen der angespannten Sicherheitslage nicht hätten öffnen können. In der nordafghanischen
Provinz Baghlan soll die Stimmabgabe durch Kämpfe gestört worden sein. Nach verschiedenen Berichten stürmten dort Auständische die Wahllokale, 21 Menschen seien ums Leben gekommen. Erste Zahlen
zur Wahlbeteiligung gibt es jedoch noch nicht.
Präsident Karzai, der seit 2001 regiert und 2004 bei den Wahlen als Sieger hervorging gilt als Favorit bei den Wahlen, auch obwohl sich zahlreiche Afghanen von seiner Regierung enttäuscht
sehen. Korruption, Unsicherheit und Armut werden dem Paschtunen vorgeworfen, zu wenig hätte sich verändert.
Rückhalt bei Paschtunen
Der Präsident, der eine absolute Mehrheit der Stimmen zum Sieg braucht, kann auf den Rückhalt unter der größten Bevölkerungsgruppe der Paschtunen zählen, die etwa 40 Prozent der
Gesamtbevölkerung ausmachen. Seine wichtigsten Herausforderer sind der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah, der die zweitwichtigste Gruppe der Tadschiken hinter sich vereint, also etwa 25
Prozent der Bevölkerung, und der ehemalige Finanzminister Ashraf Ghani Ahmadzai, ein unabhängiger Kandidat.
"Die Wahl des Staatspräsidenten sollte den Übergang zur Afghanisierung und damit Normalisierung der politischen Abläufe im Land markieren," so Thomas Ruttig von der Stiftung Wissenschaft
und Politik, "erhebliche institutionelle Schwächen schaffen allerdings Freiräume für Manipulationen."
Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten hatte Karzai seinen Wahlkampf vor allem darauf reduziert, das Aufkommen eines paschtunischen Gegenkandidaten zu verhindern und die Stammesführer anderer
Bevölkerungsgruppen für sich zu gewinnen. Dabei ging er auch Allianzen mit umstrittenen Politikern ein, wie dem usbekischen Warlord Rashid Dostum, der sich der Kriegsverbrechen schuldig gemacht
haben soll und zeitweise über eine große Privatarmee von 45.000 Mann befehligte, und mit dem tadschikischen Warlord Mohammed Quasim Fahim, der trotz Anschuldigungen, er habe sich an gefälschtem
Geld bereichert, nun als Karzais Vizepräsident aufgestellt wurde. Zudem hat Karzai mit Mohammed Mohaqiq und Karim Khalili zwei ehemalige Muschaheddin-Führer auf seine Seite gezogen, die wichtige
Posten in seinem Kabinett bekommen könnten.
Pfründe für die Unterstützer
"Das politische System Afghanistans funktioniert vor allem über Netzwerke," sagt Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, "über das Patronagesystem des
Präsidenten, indem er verschiedenen Stammesführern oder Warlords Ämter zuspricht." Dass darunter zahlreiche zwielichtige Kandidaten sind, stört den afghanischen Präsidenten nicht.
Denn Karzai fürchtet um seine Mehrheit. Die Taliban wollten vor allem die paschtunischen Wähler von den Urnen fernhalten. Mehr als 180.000 afghanische Soldaten und Polizisten sowie rund 60
000 internationale Soldaten der Nato-Truppe ISAF sowie Zehnzausende US-Soldaten waren daher im Einsatz. Umfragen vor den Wahlen zufolge lag Karzai bei etwa 45 Prozent der Stimmen, Abdullah bei
etwa 25 Prozent und Ghani bei etwa 4 Prozent.
"Bereits vor Beginn des Wahlkampfs hatte Karzai dafür gesorgt, dass ausschließlich er selbst für die Ernennung der Provinz- und Distriktgouverneure zuständig ist," so Thomas Ruttig, "er
kann somit Ämter als Pfründe verteilen."
Anschläge im Norden
Die Nacht vor den Wahlen war verhältnismäßig ruhig. Als morgens um 6.00 Uhr die Wahllokale öffneten sollen vor allem ältere Wähler zu den Urnen gegangen sein, die jüngeren Afghanen haben sich
von der Unsicherheit und den Anschlagsdrohungen abschrecken lassen. Bei den letzten Wahlen 2004 lag die Beteiligung bei etwa 70 Prozent, in diesem Jahr rechnen Experten mit etwa 50 Prozent. Vor
allem im Süden des Landes, wo der Einfluss der Taliban ungebrochen groß ist, haben sich weniger Menschen registrieren lassen.
Im deutschen Einsatzbereich im Norden Afghanistans soll es zu einem Anschlag gekommen sein. In Kunduz schlugen Raketen in zwei Wahllokale ein, verletzt wurde jedoch niemand und die Wahlen
konnten fortgesetzt werden. Die Medien waren angewiesen, während des Wahltages nicht über Anschläge zu berichten, um die Bevölkerung nicht von den Urnen fernzuhalten. Eine Gesamtbilanz des
Wahltages wird es also erst in den nächsten Tagen geben.
Manipulation bei Auszählung?
Experten befürchten, dass vor allem bei der Auszählung der Stimmen manipuliert werden könnte. "Das Ergebnis dürfte nicht allein durch das Häkchen in der Wahlkabine, sondern vor allem durch die
Auszählung entschieden werden," so Thomas Ruttig, "allerdings wird sich da nicht vor den afghanischen Wählern verbergen lassen. Eine zweifelhafte Legitimität könnte sie weiter von dem politischen
Prozess entfremden."
Die NATO, die das internationale Engagement in Afghanistan leitet, blickt mit großer Skepsis auf Karzai und seine Verbündeten sowie die Wahlen insgesamt. Zu kritisieren wagt jedoch kein
Spitzenpolitiker den afghanischen Präsidenten, denn sie wissen, er bedeutet für das Land nur das geringere Übel. Mitte September sollen die Ergebnisse vorliegen.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.