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Tag der Menschenrechte: Zwischen Hoffen und Bangen

Russland, Syrien, Türkei – überall werden die Menschenrechte mit Füßen getreten, sagt Amnesty International. Kurz vor dem Internationalen Tag der Menschenrechte gibt es aber auch Zeichen der Hoffnung.
von Paul Starzmann · 8. Dezember 2016
Bewohner der überwiegend kurdischen Stadt Diyarbakır retten Habseligkeiten aus ihren zerbombten Häusern.
Bewohner der überwiegend kurdischen Stadt Diyarbakır retten Habseligkeiten aus ihren zerbombten Häusern.

Zeynep Kıvılcım möchte gerne nach Hause, aber sie kann nicht. Würde Sie heute in ein Flugzeug steigen und von Deutschland aus in ihre Heimat, die Türkei, fliegen – sofort nach ihrer Ankunft in Istanbul würde sie festgenommen und ins Gefängnis gesteckt werden, befürchtet die Jura-Professorin. Der Grund: Im Januar 2016 hatte sich Kıvılcım mit rund 2.000 anderen „Akademikern für den Frieden“ in einer Petition gegen den Krieg in Kurdistan ausgesprochen. In der Türkei kann so etwas heutzutage sehr gefährlich sein, die Regierung toleriert keinerlei öffentliche Kritik. Wer den Mund aufmacht, landet nicht selten sofort hinter Gittern – Folter und unwürdige Haftbedingungen inklusive.

Syrien: „Versagen der Staatengemeinschaft“

Wie die türkische Professorin Kıvılcım sind weltweit unzählige Menschen von der Missachtung ihrer Grundrechte betroffen, sagt Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. „Wir leben in unruhigen Zeiten“, lautet seine Analyse anlässlich des International Tags der Menschenrechte am 10. Dezember. Der Aktivist fordert von der internationalen Staatengemeinschaft, sich wieder „auf die Menschenrechte als gemeinsames Gut“ zu besinnen. Doch davon scheint die Welt in diesem Jahr weit entfernt zu sein.

Zum Beispiel in Syrien: Täglich lässt das Assad-Regime Bomben auf die eigene Bevölkerung abwerfen, der selbsternannte Islamische Staat terrorisiert die gesamte Region, und die oppositionellen Rebellen tun ihr übriges, um die Lage weiter zu verschärfen. Wer die Gewalt überlebt, stirbt nicht selten an Hunger, Kälte oder Krankheiten. Die Welt schaut zu – ein totales „Versagen der Staatengemeinschaft in Syrien“, wie Beeko bilanziert.

Türkei: „Zustand des tiefen Faschismus“

Auch in der Türkei steht es schlecht um die Menschenrechte, vor allem im Osten, wo ein Krieg zwischen Regierungstruppen und der kurdischen Miliz PKK tobt: „Bis zu eine halbe Million Menschen ist bisher im Südosten der Türkei durch die Kämpfe zwischen der Regierung und der PKK vertrieben worden“, so Beeko. Das Vorgehen der Regierung erinnere an eine „kollektive Bestrafung der Bevölkerung“. Kritik an der islamistischen AKP-Regierung werde in der Türkei hart bestraft, heißt es bei Amnesty International. Zurzeit befänden sich 130 Journalisten in Untersuchungshaft, 160 Medien seien in diesem Jahr bereits geschlossen worden. Zeynep Kıvılcım, die notgedrungen in Deutschland ausharrt, sieht ihr Heimatland in einem „Zustand des tiefen Faschismus“ – ähnlich wie Deutschland im Jahre 1933, meint sie.

Es sei nicht mehr möglich, mit der türkischen Regierung zu verhandeln. Präsident Tayyip Erdoğan regiert mittlerweile per Dekret, es herrsche ein „absolutes Chaos im Justizbereich“, betont Kıvılcım. Das Verhalten des Regimes sei „komplett verfassungswidrig“ und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deshalb sei es richtig, wenn die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einstelle – sonst werde die Erdoğan-Regierung nur aufgewertet, warnt Kıvılcım. Schon der Flüchtlingsdeal zwischen Brüssel und Ankara sei ein Fehler gewesen, analysiert die Juristin. Auf die Frage, wie sie die Zukunft ihrer Heimat einschätzt, räumt sie ein: „Ich bin nicht sehr optimistisch.“

Russland: „riesiger Druck des Staates“

Kurz vor dem Internationalen Tag der Menschenrechte gibt es jedoch auch vereinzelt Zeichen der Hoffnung: Während Zeynep Kıvılıcım in Berlin mit Journalisten die Lage in der Türkei diskutiert, demonstrieren ihre Studenten vor der Istanbuler Işık-Universität gegen die autoritäre AKP-Regierung. Ihre Botschaft laute „Wir kommen wieder!“, erklärt die Professorin.

Auch in Russland wollen die Menschenrechtler von „Memorial International“ trotz „riesigen Drucks des Staates“ nicht aufgeben, sagt der Aktivist Grigory Okhotin. Es gebe einen starken „Auftrieb der Zivilgesellschaft“ in seinem Land. Auch die Aktionen von Amnesty International wie der alljährliche „Briefmarathon“, mit Millionen von Briefen an Regierungen weltweit, scheinen Wirkung zu zeigen: Nicht zuletzt aufgrund des Drucks von Amnesty wurde im Februar 2016 Albert Woodfox aus der US-Haft entlassen – nachdem er über 40 Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hatte.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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