Tadschikistan: Corona-Impfpflicht für Reisefreiheit nach Russland
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Es war ein bisschen voreilig, als die tadschikische Regierung im Januar 2021 das Land für frei von Corona erklärte. Fünf Monate später musste man eingestehen, dass die Pandemie doch noch nicht beendet sei. Im Juli 2021 erkrankten mehre Verwandte des tadschikischen Präsidenten Emomali Rakhmon an Corona, seine ältere Schwester verstarb – laut Spekulationen an einer Covid-Infektion. Für den Präsidenten wurde die Pandemie somit auch zu einer persönlichen Bedrohung.
Kurz zuvor, Anfang Juli, hatte die Regierung eine Impflicht ab 18 Jahren eingeführt. Viele Beobachter fragten sich, warum die Regierung so schnell zu einer so unpopulären und weitreichenden Maßnahme griff. Wie viele Regierungen weltweit wurde auch die tadschikische von der Corona-Welle im Sommer 2021 überrascht und fürchtete den Vertrauensverlust der Bevölkerung – insbesondere angesichts ihrer vorigen vollmundigen Erklärung.
Impfpflicht als Lösung von Logistik-Problemen?
Neben der Machterhaltungsfrage für den Präsidenten haben sicherlich auch logistische Faktoren eine Rolle bei der Entscheidung gespielt. Wie viele Entwicklungsländer erhielt Tadschikistan Impfstoffspenden, was unter anderem mit unklaren Lieferterminen einherging. Eine Impfpflicht kann dazu beitragen, möglichst viele Dosen zügig zu verabreichen.
Ein weiterer Aspekt ist die Abhängigkeit Tadschikistans von Rücküberweisungen seiner Bürgerinnen und Bürger im Ausland. Vergangenes Jahr arbeiteten rund 2,4 Millionen Tadschiken in Russland – fast 25 Prozent der Bevölkerung. Zur Stabilisierung der Wirtschaft musste die Regierung also auch dafür sorgen, dass die Menschen den für Reisen erforderlichen Impfstatus haben.
Proteste, Radikalisierung, Impfskepsis
Die Impfpflicht ist in der tadschikischen Bevölkerung sehr umstritten. Impfskepsis ist weit verbreitet. In dem autoritär regierten Land gab es jedoch keine offene Debatte darüber. Wie man Diskussionen unterbindet, zeigte die Regierung mit ihrer Reaktion auf die Proteste in der Region Gorno-Badakschan in den vergangenen Monaten. Gegenstand der Proteste war der Versuch des Regimes, die Region stärker zu kontrollieren. Die Regierung kappte kurzerhand für mehrere Wochen den Internetzugang.
Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und Radikalisierung sind eine zentrale Herausforderung der tadschikischen Politik. Die Proteste in Gorno-Badakschan und die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan haben dies noch einmal verstärkt. Wie sich die Impfpflicht auf diese Tendenzen auswirkt, bleibt abzuwarten. Entscheidend wird dabei die Meinung der Arbeitsmigrant*innen sein. Durch ihre Rolle als Brotverdiener*innen in vielen Familien haben sie einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung im Land und speisen in diese auch die Debatten aus dem Ausland – beispielsweise Russland – ein.
Philipp Jahn leitet das Regionalbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bischkek, Kirgistan. Zuvor leitete er das FES-Büro in Khartum, Sudan.