Syrien-Krieg: Aleppo ist eine Katastrophe
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Nach mehr als 300 Toten, zerstörten Krankenhäusern und erbitterten Kämpfen gilt endlich die Waffenruhe auch in Aleppo. Aleppo sei, so der Syrienbeauftragte der Vereinten Nationen Staffan de Mistura, schlicht eine Katastrophe. Halte dieser Waffenstillstand noch nicht einmal die vereinbarten 48 Stunden, so de Mistura, dann werden möglicherweise über 400.000 Menschen aus den umkämpften Gebieten in Richtung Türkei fliehen und von dort - das hat er aber nicht gesagt - versuchen sich in Richtung Europa durchzuschlagen. Die Russen forderte er auf, Druck auf das syrische Regime auszuüben, damit es den Waffenstillstand einhält. Offensichtlich sieht de Mistura in Assad den Hauptverantwortlichen für die gescheiterte Waffenruhe.
Humanitäre Lage in Aleppo entsetzlich
„Das Leben der Menschen in Aleppo ist entsetzlich“, so kurz und knapp kommentiert der oberste Nothilfekoordinator der UNO, Stephen O’Brien, die humanitäre Lage in Aleppo, das Leben habe für diese Menschen jeden Sinn verloren. Rund 300.000 Menschen sollen noch im östlichen Teil der Stadt leben, also auf der Rebellenseite, allerdings mehr vegetieren als leben in Ruinen, fast ohne Lebensmittel und Trinkwasser, kaum medizinischer Versorgung, ständig der Gefahr ausgesetzt mit Assads Fassbomben oder Raketen angegriffen zu werden. Auf der anderen Seite der Front, dem von der Regierung kontrollierten Stadtteil also, starben in den letzten Tagen über 100 Menschen. Dort sollen noch 1,3 Millionen Menschen leben.
Da klingt es schon zynisch, wenn Syriens stellvertretender UN-Botschafter, Mounzer Mounzer, dem Sicherheitsrat dieser Tage mitteilte, die syrische Regierung habe nur getan, was sie tun muss, um die eigene Bevölkerung vor den Terroristen zu schützen. Das sei schließlich ihre Pflicht. Zu dieser Pflicht gehört es offensichtlich auch, Hilfskonvois der UNO, die in die belagerten Gebiete überlebenswichtige Hilfsgüter bringen wollen, zu blockieren. Nur der russische UN-Botschaft nickte zustimmend, als Assads Vertreter bei den Vereinten Nationen in der von den Briten beantragten Dinglichkeitssitzung die aggressive Politik seines Dienstherrn in Damaskus derartig rechtfertigte. Die westlichen Botschafter sehen in Assad den Hauptverantwortlichen für die humanitäre Katastrophe in Syriens einst größten Stadt. Von Kriegsverbrechen sprach der britische Botschafter, Matthew Rycroft: „Die Schuldigen müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof.“ Mit anderen Worten: Die Verhandlungen in Genf müssen mit einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher geführt werden.
Assad will mit Sieg über Aleppo punkten
Warum aber gerade Aleppo? Warum hält der Waffenstillstand einigermaßen in übrigen Teilen des Landes? Warum nicht auch in dieser Industrie- und Handelsstadt?
Dafür allein Assad verantwortlich zu machen, reicht nicht aus, auch wenn er ein großes Interesse daran hat, sämtlich Versorgungweg in die Stadt abzuschneiden, um sie so belagern und vielleicht sogar erobern zu können. Sollte Assad tatsächlich die ganze Stadt unter seine Kontrolle bekommen, dann hätte er ein wertvolles Pfund, mit dem er bei den Verhandlungen in Genf wuchern könnte. Schließlich kontrolliert er dann die wichtigsten Städte und die Bevölkerungszentren Syriens. Dank der russischen Luftunterstützung sind die Truppen Assads an allen Fronten auf dem Vormarsch. Er also – so stark wie schon seit bald vier Jahren nicht mehr. Die Rebellen – die eindeutigen Verlierer in diesem Jahr. Eine Friedenslösung ohne Assad ist zurzeit immer schwerer vorstellbar. Egal ob Kriegsverbrecher oder nicht.
Kämpfen Kurden und Assad gemeinsam?
An den Gefechten um Aleppo beteiligt sich auch die Miliz der kurdischen PYD, die Schwesterpartei der türkischen PKK. Seit Monaten schon kämpfen sie sich immer weiter entlang der türkischen Grenze vor, um das Kurdengebiet im Westen mit dem im Osten zu verbinden. Genauso versucht sie offensichtlich einen Korridor zum kurdischen Stadtteil in Aleppo zu erobern und legt sich dabei mit den arabischen Rebellenmilizen an, da dieser Korridor deren Nachschublinie blockierte. Angeblich werden die Kurden von Assads Luftwaffe unterstützt. Nachprüfen lassen sich solche Behauptungen kaum. Das Gerücht aber, dass PYD-Kurden und Assad gemeinsame Sache machen, gibt es schon lange.
Selbst wenn in dieser für die Rebellen verzweifelten Lage die USA tatsächlich ihnen Luftabwehrraketen gegen russische und syrische Kampfflugzeuge lieferten, den Krieg gewinnen können sie kaum, höchstens um den Preis der vollständigen Zerstörung des Landes. Außerdem drohen bei einer solchen Aufrüstung gefährliche Konflikte mit Putin, möglicherweise sogar ein Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Großmächten.
Krieg kann nur in Genf beendet werden
Beendet werden kann der Krieg nur am Verhandlungstisch mit einem Kompromiss, in dem sich die meisten Parteien dieses Krieges wiederfinden müssen. Die Iraner genauso wie die Russen, die Assad-Seite, die alle Rebellen als Terroristen abstempelt, genauso wie die verschiedenen Rebellengruppen, die heute noch verkünden, mit Assad keinen Vertrag abschließen zu wollen. Nur wenn Russland und die USA genügend Druck auf ihre jeweilige Klientel ausüben, wird der syrische Krieg nicht wieder in die alte Brutalität zurückfallen. Erst wenn das gelingt, können die Verhandlungen weitergehen. Ein Frieden oder gar eine tragfähige Nachkriegsordnung ist aber noch lange nicht erkennbar in Genf.