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Syrien-Gipfel: Wie Putin, Erdoğan und Rouhani ihre Macht ausbauen

In Ankara beraten die Präsidenten Putin, Erdoğan und Rouhani die Zukunft Syriens. Das Trio nimmt die Fäden in Nahost immer mehr in die Hand. Ein Bündnis ohne Rücksicht auf den Westen – und zu einer Zeit, in der US-Präsident Trump den Rückzug aus Syrien verkündet.
von Kristina Karasu · 4. April 2018
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„Unsere Beziehungen sind erstarkt wie Stahl!“ verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Dienstag beim Besuch seines russischen Amtskollegen Wladimir Putins in Ankara. Putin wählte die türkisch Hauptstadt symbolträchtig für seinen ersten Staatsbesuch im Ausland nach seiner Wiederwahl als Präsident. Einträchtig und gut gelaunt hielten die beiden Präsidenten dort eine Zeremonie anlässlich der Grundsteinlegung des ersten türkischen Atomkraftwerks ab - gebaut wird es von der russischen Firma Rosatom bei Mersin am Mittelmeer.

Russische Raketenabwehr für die Türkei

Auch militärisch setzt man auf Zusammenarbeit: Die Türkei bestellte kürzlich russische S-400-Raketenabwehrsyteme, Putin versprach Dienstag eine schnelle Lieferung. Dass diese nicht mit dem NATO-System kompatibel sind, interessiert Erdoğan wenig – wie er auch sonst auf die NATO-Mitgliedschaft seines Landes derzeit wenig Rücksicht nimmt.

Mittwoch nun beraten Erdoğan und Putin in Ankara zusammen mit dem iranischen Präsident Hassan Rohani über die Zukunft Syriens. Offiziell erklären sie, einen Friedensprozess zu verfolgen, lassen sich in ihren Ländern als die wichtigsten Vermittler in Nahost feiern. Schon Ende Januar trafen sich die drei im russischen Sotschi. Einen Waffenstillstand will man erreichen, Sicherheitszonen errichten – und dabei den eigenen Machtbereich in Syrien ausloten.

Putin, Erdoğan und Rouhani wollen Fakten schaffen

Während die von der UNO vermittelten Syrien-Gespräche in Genf der letzten Jahre fruchtlos blieben, wollen Putin, Erdoğan und Rouhani selbst Fakten schaffen. Im Januar einigte man sich etwa auf die Gründung eines 150 Personen starken syrischen Verfassungkomitees, allerdings lehnte das syrische Regime dies im Februar ab. Tatsächlich ist die Gemengelage im Bürgerkriegsland kompliziert wie selten und stehen die drei dort durchaus auf verschiedenen Seiten.

Russland und Iran unterstützen Assad, Erdoğan hingegen setzt seit Beginn des Bürgerkrieges auf den Sturz Assads und unterstützt die syrische Opposition. Im November 2015 kam es zum direkten Kräftemessen, als das türkische Militär einen russischen Jet an der syrisch-türkischen Grenze abschoss. Putin reagierte mit harten Sanktionen gegen die Türkei, es herrschte Eiszeit zwischen beiden Ländern.

Streitpunkt bleibt die Zukunft Assads

Doch schon nach wenigen Monaten setzte die Türkei wieder auf Annäherung, Putin hatte den Machtkampf gewonnen – und diktiert seither die Spielregeln in Nahost. Erdoğan spricht seither deutlich weniger vom Sturz Assad, er scheint sich damit abgefunden zu haben, dass dieser unter dem Schutz Putins weiter regieren kann.

Stattdessen setzt Erdoğan darauf, seine Macht an der syrisch-türkischen Grenze auszubauen. Seit Anfang des Jahres geht er in einer großangelegten Militäroperation in Nordsyrien gegen die kurdische YPG vor, die Ankara als Ableger der türkisch-kurdischen Terrormiliz PKK betrachtet. Die YPG sind eigentlich Verbündete der USA im Kampf gegen den IS. Doch die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft blieben schwach. Auch Putin ließ Erdoğan gewähren, wohl um die USA zu schwächen.

Räumen die USA in Syrien das Feld?

Im eigenen Land lässt sich Erdoğan derzeit als erfolgreicher Kriegsherr feiern, der ohne große Widerstände immer weiter in Syrien vorrückt. Nach Afrin will die Türkei nach Manbidsch weiter im Osten einmarschieren – dort sind bisher noch die USA stationiert.

Doch US-Präsident Donald Trump verkündete diese Woche plötzlich, sein Land wolle sich aus Syrien zurückziehen, schon zugesagte Wiederaufbauhilfe würde eingefroren. Ob er das auch wirklich tut, bleibt fraglich. Doch sollte er seine Worte in die Tat umsetzen, würde er ein Machtvakuum hinterlassen, von dem die Türkei ebenso wie Russland und Assad profitieren könnten.

Kein Ende des Krieges in Sicht

Gleichzeitig erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron, er wolle die syrischen Kurden unterstützen und zwischen ihnen und Ankara vermitteln. Das klingt zunächst nach Friedensperspektiven, doch angesichts der Machtinteressen in der Region dürfte es den Krieg nur in eine neue Phase treiben.

Als Gegenleistung für seine Offensive gegen die Kurden blieb Erdoğan relativ still, als Assads Truppen in den letzten Wochen weiter Land gewannen, etwa in Ost-Ghuta bei Damaskus. Doch auf lange Sicht könnten auch hier die Interessen korrelieren: Assads Truppen planen wohl, nach der Offensive in Ost-Ghuta al-Kaida-nahe Rebellen in Idlib nahe der türkischen Grenze anzugreifen. Das könnte für neue Flüchtlingsströme in Richtung Türkei sorgen – das Land beherbergt nach eigenen Angaben bereits über 3,5 Millionen syrischer Flüchtlinge. Zugleich könnten sich immer mehr Dschihadisten an der türkischen Grenze sammeln.

Gipfel ohne Friedenslösung

Beim Syrien-Gipfel will Ankara das Thema anschneiden, Putin auf die eigene Seite ziehen. Doch egal wie viele militärische Erfolge die Präsidenten für sich reklamieren, wie viel Einfluss sie auch in Syrien gewinnen – eine wirkliche Friedenslösung für das Bürgerkriegsland hat keiner der drei parat.

 

 

 

 

 

 

 

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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