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Südafrika: Wirtschaftskrise und Wahlkampf

von Jérôme Cholet · 1. Februar 2009
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"Südafrika befindet sich bereits in einem dramatischen Stellenabbau, die Arbeitslosigkeit wird im ersten Quartal des neuen Jahres auf 25 Prozent steigen, mehr als 200.000 Menschen werden betroffen sein" - der Gewerkschaftsverband South African Trade Union Solidarity zeichnet das wohl düsterste Schreckensszenario der südafrikanischen Wirtschaftslage seit Beginn der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. "Wir gehen davon aus, dass ein Beschäftigter zwischen sieben und elf weitere Menschen versorgt," so Dirk Hermann, Vize-Generalsekretär der Gewerkschaft, "so kommen wir auf die Zahl von etwa 150.000 bis 200.000 Betroffenen." Im Zentrum des Stellenabbaus stünden der Bergbau- und Minensektor, die Automobilindustrie und die Banken. "Seit zwei Quartalen ist die Anzahl der Beschäftigten zurückgegangen," so Hermann, "die Wirtschaftskrise ist auch in Südafrika angekommen und wird noch schlimmer."

Nicht nur die Finankrise ist Schuld

South African Trade Union Solidarity geht davon aus, dass die Unternehmen in den kommenden Monaten massiv Stellen streichen werden: beim Automobilhersteller Ford etwa 800, beim Bergbauriesen Arcelor Mittal 200, bei DRD Gold bis zu 1.700, beim größten Platinexporteur des Landes Lonmin etwa 6.900, bei Uranium One circa 1.000 Stellen. Zudem sei von dem Verlust von etwa 3.500 Beschäftigungsverhältnissen bei Neu- und schätzungsweise weiteren 1.500 bei Gebrauchtwagenhändlern auszugehen. Bei den Banken ABSA und Mutual & Federal wird mit 1.200 bzw. 600 Stellenstreichungen gerechnet.

Als Ursachen sieht die Gewerkschaft die weltweite Finanzkrise, den eingeschränkten Zugang zu Krediten, den Rückgang der Nachfrage nach Rohstoffen sowie deren Preisverfall. Zudem seien die Produktionskosten gestiegen. Doch auch hausgemachte Gründe führt South African Trade Union Solidarity für die Krise an, darunter die Energieprobleme, die unzureichende Ausbildung der meisten Südafrikaner, die AIDS-Pandemie, die hohe Kriminalität und den Verfall der Infrastruktur.

Der Regierung wirft Vize-Generalsekretär Hermann Untätigkeit vor: "Wir sind über die Führungsschwäche in der Krise sehr beunruhigt und fordern Präsident Kgalema Motlanthe dringend zu einem Notfallplan auf."

Automobilindustrie besonders betroffen

Ob es wirklich so kritisch um die südafrikanische Wirtschaft steht, bleibt abzuwarten. Tatsächlich zeigt sich nach mehr als neun Jahren ununterbrochenen Aufschwungs derzeit ein klarer Abwärtstrend im Wirtschaftswachstum. Im dritten Quartal des letzten Jahres wuchs die südafrikanische Volkswirtschaft nur noch um 0.2 Prozent. Am sichtbarsten ist die Krise in der Automobilindustrie. "Im November letzten Jahres ist die Nachfrage nach Neuwagen um 35 Prozent gesunken," berichtet Brand Pretorius von McCarthy, der größten Autohandelskette Südafrikas, "mehr als 100 Niederlassungen mussten schließen, 1.600 Lizenzbetriebe mussten ihre Erwartungen zurückschrauben." Dabei hatte die Branche zuletzt Millionen in den Ausbau der Produktions- und Verkaufsstätten investiert. Nun steht sie vor Überkapazitäten. Auch McCarthy musste 300 Stellen bis zum Ende des Jahres abbauen. "Die Marktbedingungen bei Neu- und Gebrauchtwagen sehen wirklich schlecht aus. Das geht den anderen Unternehmen in der Branche genauso," so Pretorius. Insgesamt erwarten Analysten die Entlassung von insgesamt 5.000 Beschäftigten.

Der südafrikanische Präsident Kgalema Motlanthe zeigte sich ob der aktuellen Lage besorgt. "Der Anstieg der Inflation und die damit verbundene Hausse der Zinsen sowie der relativ schwache Rand haben die südafrikanische Wirtschaft, aber vor allem die Armen der Gesellschaft, unter Druck gesetzt," so der Präsident vor dem Nationalen Wirtschafts- und Arbeitsrat, "erst die steigenden Preise für Nahrungsmittel- und Treibstoff im Frühjahr und schließlich die von den USA ausgehende Finanzkrise - sie haben unser Wachstums hart getroffen."

Politik hält an Haushaltsdisiplin fest

Motlanthe war erst im September als neuer Präsident vereidigt worden, nachdem Thabo Mbeki aufgrund interner Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungspartei African National Congress (ANC) zurückgetreten war. Zwar steht Motlanthe dem ANC-Vorsitzenden Jacob Zuma nahe, der dem linken Parteiflügel angehört, jedoch änderte er an der Besetzung des Finanzministeriums und der Südafrikanischen Zentralbank nichts. Schnelle Konjunkturprogramme oder Staatsinterventionen lehnt er ab.

Dabei stehen Finanzminister Trevor Manuel und der Gouverneur der südafrikanischen Zentralbank Tito Mboweni für eine rigide Haushalts- und Finanzpolitik. Trotz hoher Arbeitslosigkeit, großer Ungleichheit und weit verbreiteter Armut halten beide eisern an Haushaltsdisziplin und Inflationsbekämpfung als Instrumente der Konjunkturförderung fest. Finanzminister Trevor Manuel gestand zwar ein, dass Südafrika von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sei, "das Epizentrum liege jedoch nicht an unseren Küsten." Zentralbank-Gouverneur Mboweni rechnet mit einer Verbesserung der Inflationsaussichten, mahnte die Politiker jedoch, von einem langsameren Wachstum auszugehen. Ende Dezember verkündete er die erste Senkung des Leitzinses seit dem Jahr 2005 - um einen halben Prozentpunkt auf 11,5 Prozent. Damit fügt sich Südafrika in den Kreis der globalen Zentralbanken ein, die über Zinssenkung die Revitalisierung der Wirtschaft versuchen. Zahlreiche Analysten und große Teile der Bevölkerung hätten sich jedoch mehr Großzügigkeit von Mboweni gewünscht.

Wahl 2009: ANC will mehr Geld für Bildung

Obwohl Südafrika unter Druck steht, spielt die globale Finanzkrise im Wahlkampf der politischen Parteien jedoch keine besondere Rolle. Im April 2009 finden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Die Regierungspartei African National Congress (ANC) hat ihr Wahlkampfmanifest bereits vorgelegt und stellt fünf Themen in den Vordergrund. Neben der Schaffung von sicheren Arbeitsplätzen verspricht die seit Ende der Apartheid an der Macht stehende Partei mehr Geld für Bildung, Gesundheit und ländliche Entwicklung sowie den Kampf gegen die hohe Kriminalität.

Der ANC-Vorsitzende Jacob Zuma, der bereits zwischen 1999 und 2005 als Vize-Präsident amtierte und als Spitzenkandidat für das Amt des Präsidenten gilt, verspricht, vor allem sichere Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Damit stellt er sich dem drängendsten Problem des Landes, das durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise noch akuter geworden ist. Bei der Vorstellung des Wahlmanifestes sagte Zuma: "Im Zentrum unserer Wirtschaftspolitik steht die Schaffung von anständigen Arbeitsplätzen. Wir werden eine vom Staat geführte Industriepolitik initiieren, die öffentliche und private Investitionen in die Schaffung von Arbeitsplätzen leitet und zu einer umfassenden Transformation unserer Volkswirtschaft beiträgt." Applaus erhielt er vor allem aus den linken Reihen des ANC, aber auch von den Alliierten aus der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und vom Dachverband der Südafrikanischen Gewerkschaften Congress of South African Trade Unions (COSATU).

Zuma plant einen Entwicklungsstaat, der Interventionen zur Bekämpfung von Armut und zur Sicherung von Arbeitsplätzen vorsieht. Damit unterscheidet er sich einerseits von seinem Vorgänger im Amt des ANC-Vorsitzenden Thabo Mbeki, andererseits von der neu gegründeten Partei Congress of the People (COPE), die sich vor wenigen Monaten vom ANC abgespalten hat und eine unternehmensfreundlichere Politik verspricht, wie auch Präsident Thabo Mbeki sie vertrat. Zu den Initiatoren von COPE gehören der ehemalige Verteidigungsminister Mosiuoa Lekota und Mbhazima Shilowa, der ehemalige Provinzgouverneur von Gauteng, das die Wirtschaftsmetropole Johannesburg und den Regierungssitz Pretoria umfasst. COPE hat zwar noch kein Wahlkampfprogramm vorgelegt, inhaltlich verspricht die Partei jedoch vor allem ein Ende der ANC-Dominanz, von Korruption und Amtsmissbrauch. Des Weiteren setzt COPE auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bekämpfung der Armut und mehr Investitionen in das Bildungs- und Justizwesen. Derzeit ist die neue Partei vor allem mit ihrem Aufbau beschäftigt.

Keine Konjunkturhilfen geplant

Hektischen Forderungen nach Konjunkturpaketen, kurzfristigen Interventionen oder einem Aufweichen der bisherigen Stabilitätspolitik sind auch im Wahlkampf nicht zu vernehmen. Bedauerlicherweise sind die hohe Arbeitslosigkeit und die massive Ungleichheit in Südafrika nichts Neues. Die Gewerkschaften, die noch gestern von einer Wende in der Arbeitsmarktpolitik sprechen wollten, bemühen sich erst einmal gemeinsam mit den Arbeitgebern um Schadensbegrenzung. Dabei wird auch auf Kurzarbeit zurückgegriffen werden. Ihre noch bis vor kurzem durch den Boom gestärkte Verhandlungsposition ist zusammengeschrumpft. Wie der aussichtsreichste Kandidat für das Präsidentenamt Jacob Zuma mit den Herausforderungen der südafrikanischen Beschäftigungsproblematik umgehen wird, ist offen.


Jérôme Cholet arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten. Themen sind Wahlen, Armut und Entwicklung.Mehr Informationen zum Thema unter http://www.fes.org.za/.

Den aktuellen Fokus Nr. 1/2009, Südafrika im Spagat zwischen Wirtschaftskrise und Wahlkampf, finden Sie im Dateianhang.

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Jérôme Cholet

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