Streubomben in der Ukraine stören Europa nicht
Die Vorwürfe sind massiv: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) behauptet, dass die ukrainische Armee bei den Kämpfen im Osten des Landes Streubomben eingesetzt hat. Amnesty International (AI) beschuldigt sowohl die Separatisten als auch ukrainische Einheiten, gefangene Soldaten der Gegenseite hingerichtet zu haben. So kurz vor der Parlamentswahl am Sonntag liegen die Nerven in Kiew blank. Zumal in Paris, London, Berlin, Washington und Brüssel mit großer Sorge die Brutalisierung dieses schmutzigen Krieges beobachtet wird.
Der Einsatz von Cluster- oder Streubomben ist weltweit geächtet. In einem internationalen Abkommen haben sich 114 Staaten verpflichtet, solche Bomben nicht einzusetzen. Russland, Israel, die USA und die Ukraine haben dieses Abkommen nicht unterzeichnet. Mitarbeiter von Human Rights Watch haben sich eine Woche im Kriegsgebiet aufgehalten: „Wir haben Beweismaterial, das die Schlussfolgerung nahe legt, ukrainische Artillerie habe wiederholt das Stadtgebiet von Donezk mit Streusprengköpfen beschossen“, sagte eine Sprecherin des HRW-Büros in Moskau. Zwölf Streubombeneinschläge mit sechs Toten soll es gegeben haben.
Keiner will die hinterhältigen Streubomben benutzt haben
Streubomben wurden unter anderem im Kosovo Krieg und in beiden Tschetschenienkriegen eingesetzt. Sie beinhalten hunderte kleinere Granaten, die herausgeschossen werden, bevor die Bombe auftrifft. Wenn die Granaten explodieren, zerfetzen sie auf einer größeren Fläche Menschen und Tiere. Als besonders gefährlich erweisen sie sich, wenn sie nicht explodieren. Dann können die Blindgänger die hinterhältige Wirkung von Minen haben. Human Rights Watch meldete, dass es auch möglich sei, dass die Separatisten die Streubomben verschossen haben. Es sei schwer, die genaue Herkunft der Bomben zu ermitteln.
Alle Beschuldigten bestreiten natürlich, dass sie etwas mit den Kriegsverbrechen zu tun haben: Wer behaupte, die Ukraine setze Streubomben ein, der wolle das Land weiter destabilisieren, empört sich der Stabschef des ukrainischen Präsidenten, Valerij Tschalij.
Krieg in der Ukraine wird immer brutaler
Die Kämpfe an der Front sind, nach allen einigermaßen zuverlässigen Berichten, ebenso rücksichtslos wie brutal. Vor allem Scharfschützen der gegnerischen Seite werden von den ukrainischen Milizen wie Aidar und Asow gnadenlos bekämpft und, wenn sie gefangen genommen werden, offenbar liquidiert. In diesen Einheiten kämpfen Nationalisten und Faschisten aus vielen Ländern: Schweden, Norwegen, Österreich, der Slowakei, Weißrussland, Frankreich, Kroatien, Griechenland oder Großbritannien. In Kiew und vor allem in Brüssel wird befürchtet, dass dieser Krieg außer Kontrolle gerät und sich ausweitet.
Nach den vorliegenden Informationen ist davon auszugehen, dass auf beiden Seiten Kriegsverbrechen begangen werden, und zwar unter den Augen der verantwortlichen Regierungen in Kiew wie in Moskau. Egal wie empört und angewidert das restliche Europa diesem schmutzigen Krieg zuschaut, der wahre Skandal ist: Europa schaut nur zu.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).