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Steinmeier: Jede Chance auf Frieden in Syrien nutzen

Ohne eine Lösung für Syrien ist weder der IS-Terror zu stoppen noch die Flüchtlingskrise zu meistern. Diese Lösung ist möglich. Aber sie hängt am seidenen Faden.
von Frank-Walter Steinmeier · 28. April 2016
Namenlose Gräber: In der Nähe von Aleppo haben die Opfer von IS-Giftgasangriffen ihre letzte Ruhe gefunden
Namenlose Gräber: In der Nähe von Aleppo haben die Opfer von IS-Giftgasangriffen ihre letzte Ruhe gefunden

Der Bürgerkrieg in Syrien, der vor fünf Jahren mit Protestgraffiti von Jugendlichen in einer Provinzstadt begann, ist zum folgenschwersten Konflikt unserer Zeit geworden. Er hat nicht nur an die 300.000 Menschen das Leben gekostet und eine in der jüngeren Geschichte beispiellose Flüchtlingskatastrophe ausgelöst, deren Folgen wir spätestens seit dem vergangenen Jahr auch überall in Deutschlands Städten und Gemeinden spüren. Er hat auch die Terrormiliz IS hervorgebracht, die in Syrien und Irak Hunderttausende Andersdenkende ermordet, vertrieben und versklavt hat und ihren nihilistischen Terror bis ins Herz Europas trägt.

Syrien ist der Schlüsselkonflikt der ganzen Region

Gleichzeitig ist Syrien zum regionalen Schlüsselkonflikt geworden, in dem mit größter Brutalität all die Konfliktlinien ausgetragen werden, die seit Beginn des Jahrtausends die Entwicklungen im -Nahen und Mittleren Osten bestimmen: Die Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region, die Ressentiments zwischen Sunniten und Schiiten und zwischen Kurden, Arabern und Türken, dazu der Anspruch Russlands, seinen Einfluss in der Region zu wahren.

Für mich ist deshalb klar: Wenn wir die Flüchtlingskrise, die Instabilitäten in unserer Nachbarschaft, die Bedrohung durch den IS-Terror an der Wurzel packen wollen, gibt es für deutsche und europäische Außenpolitik heute keine vordringlichere Aufgabe als eine Entschärfung der Gewalt und eine politische Lösung für Syrien.

Nach fünf Jahren Krieg: Zeichen der Hoffnung

Zum ersten Mal nach fünf Jahren Krieg sind wir dabei in den vergangenen Monaten spürbar vorangekommen: Hunderttausende Menschen in belagerten Städten konnten erstmals wieder mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden. Erstmals haben in fast ganz Syrien sieben Wochen lang die Waffen geschwiegen, konnten Menschen Hoffnung schöpfen und beginnen, ihre Häuser zu reparieren, gingen Menschen friedlich auf die Straße, um für ihre politischen Forderungen zu demonstrieren. Und zum ersten Mal verhandeln in Genf die Opposition und das Assad-Regime über einen politischen Übergangsprozess.

Richtig ist: Ein Durchbruch ist all das noch längst nicht. Immer bedrohlicher haben zuletzt die Verletzungen der Waffenruhe zugenommen. Und je näher die Genfer Verhandlungen ans Eingemachte gehen, an die Kernfragen der politischen Zukunft Syriens, desto verhärteter sind die Positionen.

Der politische Wille entscheidet

Trotzdem haben die bisherigen Fortschritte bewiesen: Eine politische Lösung ist machbar – wenn der politische Wille vorhanden ist. Wie viele Gründe wurden in den vergangenen Jahren aufgezählt, weshalb eine Befriedung nicht gelingen könne: Die Opposition sei zu zerstritten, die Frage, welche Gruppen als terroristisch gelten, nicht lösbar, das Regime nicht gesprächsbereit, seine Unterstützer setzten auf militärischen Sieg. Ja, all diese Hindernisse gibt es – aber wir haben gesehen, dass sie überwindbar sind, auch wenn es viel Mühe und Beharrlichkeit kostet.

Alles, was wir in den vergangenen Monaten erreicht haben, wurde deshalb möglich, weil wir es in Wien und München zum ersten Mal seit fünf Jahren geschafft haben, alle entscheidenden internationalen und regionalen Mächte nicht nur an einen Tisch zu bringen, sondern auch auf einen gemeinsamen Fahrplan zu einer politischen Lösung zu verpflichten. Dazu war es notwendig, auch Partner an Bord zu bringen und für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, mit denen wir in manchen Fragen fundamentale Meinungsunterschiede haben – auch wenn man für solche Gespräche mit Ländern wie Iran und Saudi-Arabien innenpolitisch nicht nur Beifall bekommt.

Russland konstruktiv einbinden

Und es war entscheidend, Russland als wichtigen Verbündeten der syrischen Regierung konstruktiv einzubinden, das inzwischen gemeinsam mit den USA den Ko-Vorsitz in der Syrien-Kontaktgruppe übernommen hat. Denn Russland hat kein Interesse daran, dauerhaft in einen militärischen Konflikt gezogen zu werden, aus dem es ohne politische Lösung keine Exit-Strategie gibt.

Nichts von dem, was wir bisher erreicht haben, war einfach, jeder kleine Schritt war schwer errungen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Schritte eher noch kleiner und noch mühsamer werden. Gemeinsam mit den Partnern müssen wir jetzt aufs Neue den Druck auf die Konfliktparteien aufbauen, um der Waffenruhe wieder Geltung zu verschaffen und eine ungehinderte humanitäre Versorgung in ganz Syrien durchzusetzen, um so die Bedingungen für eine Fortsetzung der Friedensgespräche zu schaffen.

Hoffnung der Menschen nicht enttäuschen

Die Hoffnung, die die Menschen in -Syrien in den letzten Wochen geschöpft haben, dürfen wir jetzt nicht enttäuschen. Es gibt eine Chance für Syrien, aber sie hängt am seidenen Faden. Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass Syrien zurückfällt in fünf weitere Jahre Krieg, neues Leid und neue Flüchtlingswellen. Das lohnt jede Mühe.

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