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SPD warnt EU-Kommision: Kein Einknicken vor Erdoğan!

Die EU-Kommission will in der Türkei über eine Zollunion verhandeln. Der SPD-Europabeauftragte Udo Bullmann fordert: Jede Konzession an Erdoğan muss mit einer verbindlichen Verpflichtung Ankaras zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten einhergehen.
von Lars Haferkamp · 31. März 2021
Udo Bullmann, Europabeauftragter des SPD-Parteivorstandes und Mitglied des Europäischen Parlamentes: „Gerade nach dem letzten EU-Gipfel bleibe ich skeptisch, ob  Ursula von der Leyen und Charles wirklich mutig und standfest auftreten werden.“
Udo Bullmann, Europabeauftragter des SPD-Parteivorstandes und Mitglied des Europäischen Parlamentes: „Gerade nach dem letzten EU-Gipfel bleibe ich skeptisch, ob Ursula von der Leyen und Charles wirklich mutig und standfest auftreten werden.“

Udo Bullmann, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, reisen am Dienstag nach Ostern zu einem Treffen mit Präsident Erdoğan in die Türkei. Sind die Reisepläne zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine gute Idee?

Grundsätzlich ist es immer besser, zu reden. Auch mit Akteuren, die uns nicht gefallen. Das ist auch das Leitbild europäischer Außenpolitik. Entscheidend ist aber, dass diese Gespräche immer aus einer Position des eigenen Selbstbewusstseins, der eigenen Stärke heraus geführt werden müssen. Ich fürchte, dass die Reise leider zu einer diplomatischen Aufwertung Erdoğans führt. Gerade nach dem letzten EU-Gipfel bleibe ich skeptisch, ob Ursula von der Leyen und Michel Charles wirklich mutig und standfest auftreten werden. Dabei könnte dieses Treffen durchaus einen Effekt haben. Wir müssen der Türkei langfristige Angebote machen, die der demokratischen Opposition im Land den Rücken freimachen, Angebote, die zum Wandel beitragen. Leider ist dieser Wandel unter Europas konservativ geprägter Führung in den vergangenen Jahren nie eingetreten. Die EU hat oft zu hasenfüßig agiert.

Erdoğan baut in diesen Tagen die Demokratie in einem atemberaubenden Tempo ab: So soll die kurdische Oppositionspartei HDP verboten werden. Das belohnt die EU jetzt mit einem Besuch in Ankara?

Die HDP, die Demokratische Partei der Völker, ist Schwesterpartei der SPD. Sie ist assoziiertes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas und steht uns sehr nahe. Ich habe in meinen Funktionen im Europaparlament oft eng mit Vertreterinnen und Vertretern der HDP zusammengearbeitet und weiß aus erster Hand, wie engagiert unsere Freundinnen und Freunde für Freiheit und Demokratie eintreten – für alle Menschen in ihrem Land. Nicht nur der Fall des HDP-Politikers Ömer Faruk Gergerlioğlu zeigt, wie ernst die Lage ist. Gergerlioğlu hatte tagelang gegen den Entzug seines Abgeordnetenmandats und seine Verurteilung zu zwei Jahren Haft protestiert. Mitte März wurde er von 100 Polizisten aus dem Parlamentsgebäude abgeführt. Dieses Szenario droht noch vielen, vielen anderen Oppositionspolitikerinnen und -politikern. Das darf die EU nicht hinnehmen.

Welches Signal sendet Brüssel mit der Visite bei Erdoğan eigentlich an die Demokraten der türkischen Opposition?

Erdoğan hat unfassbare Angst vor der Opposition. Und was tut einer, der Angst hat, aber es nicht eingestehen will? Er beginnt sich größer zu machen als er ist. Das gipfelt bei Erdoğan immer wieder in großer Wut auf die Opposition. Und trotz aller Unterdrückung ist es nicht gelungen, die demokratische Opposition zu brechen. Das Gegenteil scheint der Fall. Die sozialdemokratische CHP, eine weitere Schwesterpartei der SPD, und die HDP kommen in Umfragen zusammen immer wieder nah ran an Erdoğans AKP. Alle Demokratinnen und Demokraten in Europa müssen deshalb das Signal an unsere Freundinnen und Freunde in der Türkei senden: Ihr seid nicht alleine. Überall in Europa habt ihr Partnerinnen und Partner, die zu Euch stehen. Die SPD ist hier in einer besonderen Rolle, nicht nur symbolisch, sondern auch im Praktischen. Die gute Partnerschaft zu CHP und HDP müssen wir mit Stolz nach außen tragen – etwa in gemeinsamen Veranstaltungen und Veröffentlichungen.

Erdoğan hat per Dekret den Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt verkündet. Sind sie mit den bisherigen Reaktionen aus Brüssel auf diesen Schritt zufrieden?

Nein, bin ich nicht. Was auf dem letzten Gipfeltreffen der EU-Staats-und Regierungschefs dazu besprochen wurde, war peinlich wenig. In keiner Silbe wird die Istanbul-Konvention erwähnt. Wieso nicht? Erdoğans Begründung für den Austritt ist offen frauenfeindlich und homophob. Da müssen die Staats-und Regierungschefs klarere Worte finden. Erdoğan verstößt auf infame Art und Weise gegen Grundwerte unserer Zusammenarbeit.

Gegenstand der Gespräche der EU-Spitzen nach Ostern in Ankara sollen Vorbereitungen für eine Ausweitung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei sein. Ist dafür jetzt der richtige Zeitpunkt?

Eigentlich nicht. Ich bin dafür, dass jede Konzession an das Regime Erdoğans mit einer verbindlichen und einklagbaren Verpflichtung zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei einhergehen muss. Dafür braucht es den vorher beschriebenen Mut. Die EU darf die Verschiebung des Diskurses, die Normalisierung der autokratischen Strategie Erdoğans nicht mitmachen. Es braucht klare Haltung und klare Maßnahmen, die Erdoğan und der AKP zeigen, dass Europäische Werte nicht verhandelbar sind und die EU sich nicht erpressen lässt. Erdoğan reizt immer wieder die Grenzen des Machbaren aus. Als Europäische Union müssen wir dem gegenüber klare Haltung zeigen.

Wie bewerten Sie das Verhalten der Türkei im Konflikt mit Griechenland und Zypern um Erdgasbohrungen im östlichen Mittelmeer?

Nur durch größte diplomatische Anstrengung konnte eine katastrophale Eskalation abgewendet werden. Das können wir Erdoğan nicht durchgehen lassen. Das ist typisches Großmachtgehabe eines Möchtegern-Imperators, das nur einem Ziel folgt: Ablenken von der eigenen wirtschaftlichen und innenpolitischen Schwäche.

Es steht weiterhin die von Erdoğan immer wieder neu vorgebrachte Drohung im Raum, tausende von Flüchtlingen in die EU einreisen zu lassen. Verhandelt Brüssel in Ankara mit von Erdoğan vorgehaltener Pistole?

Die Begrenztheit solcher Absprachen wird darin deutlich. Die EU braucht dringend eine solidarische Flüchtlings- und Migrationspolitik. Dass Erdoğan das Flüchtlings-Abkommen immer wieder als Druckmittel nutzt, verdeutlicht, dass man sich auf ihn letztlich nicht verlassen kann.

Kritiker der EU-Kommission werfen ihr eine Politik des Appeasement, der Beschwichtigung, gegenüber Erdoğan vor. Wie sehen Sie das?

Das zeigt, wie dringend die Frage nach echter europäischer Außenpolitik ist. Die EU-Kommission ist mit dem Anspruch angetreten, eine geopolitische Kommission zu sein. Davon sind wir meilenweit entfernt. Wir müssen eine größere Souveränität entwickeln. Dazu gehört eine viel bessere Abstimmung von Wirtschafts- und Außenpolitik wie auch eine größere Kohärenz in Ton und Symbolik. Besonders gegenüber Autokraten wie Erdoğan mit ihren Allmachtsfantasien ist das dringend geboten. Dazu müssen zentrale Akteure wie Ursula von der Leyen und Charles Michel aber die nötige Courage an den Tag legen und dürfen den Zeitpunkt hierfür nicht verpassen.

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