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SPD-Spitze: Deutschland soll nicht der Zuchtmeister Europas sein

In gut einer Woche beginnt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Im Vorfeld werben die SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken für ein starkes Engagement Deutschlands in Europa.
von Jonas Jordan · 23. Juni 2020
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In wenigen Tagen übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Und das bedingt durch die Corona-Pandemie in einer schwierigen Zeit. Entsprechend liegt der sozialdemokratische Fokus darauf, in Krisenzeiten die innereuropäische Solidarität zu stärken. Die SPD-Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wollen die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, damit Europa gestärkt aus der Krise kommt und fit für die Zukunft wird. „Wir dürfen die, die stark von der Corona-Pandemie betroffen sind, nicht alleine lassen“, betont Walter-Borjans während eines Pressegesprächs am Dienstagvormittag in Berlin.

Esken: Europäischer Weg in der Digitalisierung

Er plädiert für ein starkes Engagement Deutschlands in Europa: „Die Exportnation Deutschland wäre nicht so, wie sie ist, wenn es Europa und unsere europäischen Partner nicht gäbe. Deswegen müssen wir bereit sein, unsere eigene Stärke miteinzubringen und für einen Ausgleich zu sorgen.“ Die SPD stehe dabei in der Europapolitik stets für ein soziales, gerechtes, innovatives und zusammenhaltendes Europa. Schon allein deswegen sei die bevorstehende Ratspräsidentschaft ein großes und wichtiges Projekt.

Saskia Esken betont: „Wir haben in den letzten Monaten in Deutschland und Europa erlebt, dass gerade in Krisenzeiten Solidarität und Zusammenhalt eine große Rolle spielen.“ Daher gehe es während der kommenden sechs Monate auch darum, weg vom Klein-Klein einzelstaatlicher Egoismen und hin zu mehr Gemeinsamkeit und Zusammenhalt in Europa zu kommen. „Wir sind uns als Deutsche noch mehr als in vergangenen Zeiten bewusst, dass wir nur gemeinsam einen europäischen Weg gehen können“, sagt Esken. Dies gelte beispielsweise auch, wenn es um einen wertegeleiteten Weg der Digitalisierung gehe – in Abgrenzung zu China und den USA. „Es kommt uns auf die Souveränität europäischer Werte, aber auch auf die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger an“, betont Esken.

Walter-Borjans und Esken berichten von den Ergebnissen des Koalitionsausschusses am Montagabend. Dort habe man sich auf „große Leitlinien“ zur deutschen Ratspräsidentschaft geeinigt, zu denen beispielsweise die Forderung nach europäischen Mindestlöhnen zählt. Ein entsprechender Beschluss soll am Mittwoch im Kabinett gefasst werden. Die SPD-Parteivorsitzenden begrüßen die deutsch-französische Initiative für ein europäisches Hilfs- und Rettungspaket, die Olaf Scholz gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen vorgelegt habe. Diese stelle einen überfälligen Paradigmenwechsel dar.

Walter-Borjans: Europäische Einnahmen schaffen

In der Frage der Finanzierung plädiert Walter-Borjans für eigene europäische Mittel, beispielsweise durch die Einnahmen aus dem Emissionshandel, einer Digitalsteuer und einer europäischen Finanztransaktionssteuer. „Das wäre ein wirklich wichtiges und gutes Zeichen, die finanzielle Grundlage zu schaffen“, sagt der SPD-Vorsitzende mit Blick auf die finanziellen Herausforderungen der Corona-Pandemie. Da die Einnahmen aus einer europäischen Finanztransaktionssteuer auch auf europäischer Ebene verbleiben sollen, stünden diese auf nationaler Ebene nicht mehr zur Verfügung, sind laut Walter-Borjans aber auch nicht mehr zwingend zur Finanzierung der Grundrente notwendig. Diese sei aus dem Bundeshaushalt „absolut finanzierbar“, sagt Walter-Borjans.

Er macht zugleich deutlich, dass mit der diesjährigen Ratspräsidentschaft auch ein gewisser Paradigmenwechsel in der deutschen Europapolitik verbunden sein sollte: „Wir haben nicht mehr die Rolle von vor 13 Jahren, als wir in der Krise der Zuchtmeister Europas waren, sondern wir müssen ein respektierender Partner sein.“ Dazu gehöre auch ein stärkeres finanzielles Engagement Deutschlands, wie Esken und Walter-Borjans betonen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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