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SPD: Russland bricht den INF-Vertrag

Die SPD teilt die Ansicht der Nato-Staaten: Mit seinen Iskander-Raketen verstößt Moskau gegen den INF-Vertrag. Ein Einlenken des Kreml sei nicht zu erwarten, so Fritz Felgentreu, der sicherheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Deshalb drohe Europa nun eine neue Rüstungsspirale.
von Lars Haferkamp · 22. Januar 2019
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Herr Felgentreu, der INF-Vertrag steht vor dem Aus, in der nächsten Woche endet das Ultimatum Washingtons an Moskau. Was bedeutet das für die Sicherheit Deutschlands und Europas?

Es ist tatsächlich nicht sehr wahrscheinlich, dass Russland auf die Forderungen der NATO-Staaten hin einlenkt und seine neuen Mittelstreckenraketen wieder verschrottet. Mit der Kündigung des INF-Vertrags dürfen dann auch die USA wieder solche Waffen herstellen. Sicherer wird die Welt dadurch bestimmt nicht. In Europa droht die Rüstungsspirale, die wir mit dem Ende des Kalten Krieges vor knapp dreißig Jahren hinter uns gelassen haben, wieder in Bewegung zu kommen – auch auf dem Gebiet der nuklearen Rüstung.

Die US-Regierung sagt, Russland breche den Vertrag bereits seit 2013 durch neue Raketen, die eine Reichweite von 2600 Kilometern haben und europäische Städte in wenigen Minuten erreichen können. Moskau leugnet das. Wer hat Recht?

Nach allgemeiner Einschätzung aller NATO-Staaten verstoßen die neuen russischen Marschflugkörper vom Typ Iskander gegen den INF-Vertrag. Es ist aber zurzeit nicht möglich, diese Einschätzung vor Ort zu verifizieren. Bis 2001 haben Russland und die USA die Umsetzung des Vertrages durch gegenseitige Inspektionen überprüft. Seitdem die letzten Mittelstreckenwaffen alten Typs verschrottet worden sind, gibt es diese regelmäßigen Kontrollen nicht mehr.

Wenn die neuen russischen Raketen Europa erreichen können, aber nicht die USA: Was bedeutet das für unseren Kontinent und für das westliche Bündnis? Wird so die Sicherheit Europas von der Amerikas abgekoppelt?

Russland und die USA haben immer die Fähigkeit behalten, einander mit Langstreckenraketen, mit seegestützten Mittelstreckenraketen oder mit Flugzeugen zu bedrohen. Die alte Logik der nuklearen Abschreckung ist also nie ganz verschwunden. Es gibt aber denkbare Szenarien für eine Eskalation in Europa, in denen die Mittelstrecken-Marschflugkörper eine Drohkulisse abgeben, um die USA oder andere westliche NATO-Staaten davon abzuhalten, dass sie alles Notwendige tun, um bedrohten Verbündeten an der NATO-Ostflanke zu Hilfe zu kommen. In diesem Sinne können neue Mittelstreckenwaffen auch als ein Versuch betrachtet werden, die Einheit der NATO als Verteidigungsbündnis infrage zu stellen.

Unsere osteuropäischen Nato-Verbündeten warnen vor einer wachsenden Gefahr durch Russland. Wie hat sich aus Ihrer Perspektive die Sicherheitslage in Europa durch die russische Politik – etwa gegenüber seinen Nachbarn Georgien und Ukraine – in den letzten Jahren verändert?

Die russische Führung hat wahrscheinlich schon 2008 mit dem kurzen Krieg in Georgien, spätestens aber 2014 mit dem Einmarsch auf der Krim für sich entschieden, dass sie militärische Gewalt einsetzen kann, um benachbartes Gebiet zu kontrollieren oder zu annektieren, wenn sie das für notwendig hält. Einen Nachbarn zu haben, der so denkt und handelt, verändert die Sicherheitslage für alle, vor allem aber für die Länder, die mit Russland eine gemeinsame Grenze haben. Deshalb sind Rückversicherung für die Verbündeten an der NATO-Ostflanke und Abschreckung seit fünf Jahren für die NATO wieder ein Thema geworden. 

Wie sollte der Westen auf die neue Bedrohung durch russische Raketen reagieren? Durch Nachrüstung? Oder durch eine Art Doppelbeschluss: erst Verhandeln und nur im Fall des Scheiterns Nachrüsten, analog zum berühmten von Helmut Schmidt angeregten Nato-Doppelbeschluss von 1979?

Der NATO-Doppelbeschluss stammt aus einer sicherheitspolitisch anderen Welt. Weder die neuen Gefahren durch Cyber- und Weltraum-Kriegsführung oder autonome Waffensysteme noch die wachsende militärische Bedeutung von Ländern wie China, Indien, Pakistan oder dem Iran spielten damals eine Rolle. Die Antworten von 2019 können deshalb nicht die gleichen sein wie 1979. Wichtig wird sein, dass wir uns in der NATO und der EU nicht auseinandertreiben lassen und im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedrohungen gemeinsame Strategien entwickeln. Abschreckung kann dabei immer nur ein Teil der Antwort sein. Der Weg hinaus aus der Konfrontation führt über Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung - und zwar global, nicht nur mit Blick auf Russland.

Polen und andere osteuropäische Nato-Staaten stehen einer Stationierung amerikanischer Atomwaffen auf ihrem Territorium durchaus aufgeschlossen gegenüber. Könnte das eine Lösung sein, die das atomare Gleichgewicht in Europa wiederherstellt und zugleich Deutschland eine Stationierung neuer Atomwaffen erspart?

Die Stationierung von Atomwaffen in Osteuropa wäre zugleich das Ende des NATO-Russland-Grundlagenvertrags, der zurzeit noch Plattformen für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit vorsieht – auch wenn die nicht besonders gut funktionieren. Zugleich würde der deutsche Einfluss auf die Nuklearstrategie der NATO damit deutlich kleiner. Ich kann nicht erkennen, wie Europas Sicherheit damit nachhaltig gedient wäre.

Was kann Deutschland jetzt noch tun, um den Vertrag zu retten?

Der Besuch von Außenminister Maas in Moskau ist sicherlich ein konstruktiver Beitrag. Wenn es gelingen könnte, wieder ein Verifikationsregime zwischen Russland und den USA aufzubauen, das die Einhaltung des Vertrages kontrolliert, dann wäre das mehr als nur ein Hoffnungsschimmer. Die Frage, wie wir mit chinesischen, indischen oder pakistanischen Mittelstreckenraketen umgehen, steht damit aber weiter unbeantwortet im Raum – nicht nur für die NATO, sondern auch für Russland.

 

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