International

SPD: EU-Staaten sollten Zwei-Prozent-Ziel der Nato revidieren

Die EU-Kommission will Europas Kompetenzen in der Verteidigungspolitik bündeln. Der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz warnt, dabei das Europaparlament zu übergehen. Die EU-Mitglieder der NATO sollten sich für seine Revision des Zwei-Prozent-Ziels einsetzen, fordert er.
von Lars Haferkamp · 8. Juni 2017
Die Sozialdemokraten in den neuen Ländern und Berlin wollen weiterhin im EU-Parlament vertreten sein.
Die Sozialdemokraten in den neuen Ländern und Berlin wollen weiterhin im EU-Parlament vertreten sein.

Herr Lietz, die EU-Kommission hat ihre Entwürfe für eine neue europäische Verteidigungspolitik vorgestellt. Was halten Sie davon?

Der Schritt zu mehr Europa in der Verteidigungspolitik ist grundsätzlich richtig. Er wird bereits seit vielen Jahren in SPD-Wahlprogrammen gefordert. Insbesondere das „Pooling“ und „Sharing“, also die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung von Rüstungsgütern, ist eine Urforderung der SPD. Allerdings geht mir der Kommissionsvorschlag nicht weit genug, da er dem Europaparlament keine Mitbestimmung der Rüstungsexportfestlegung über die dann durch EU-Gelder mitfinanzierten Technologien und Waffensysteme einräumt.

Muss die EU künftig mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben?

Durch die gemeinsame Rüstungsforschung sowie die gemeinsame Entwicklung, Anschaffung und Nutzung von Rüstungsgütern können die EU-Mitgliedstaaten laut offiziellen Schätzungen der Europäischen Kommission mindestens 25 Milliarden Euro jährlich einsparen. Deswegen werden die Rüstungsetats nicht anwachsen. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, die freiwerdenden Gelder für mehr Entwicklungszusammenarbeit in Richtung 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie für Konversion der Rüstungsindustrie zu nutzen.

Die EU-Kommission will Mittel aus dem EU-Haushalt verwenden, um die europäische Rüstungsindustrie zu unterstützen, gleichzeitig aber die Kompetenzen für Rüstungsexporte auf der Ebene der Nationalstaaten belassen. Passt das aus Sicht des EU-Parlamentes zusammen?

Die Kommission kann nicht Mittel aus dem EU-Haushalt für die Unterstützung der europäischen Rüstungsindustrie veranschlagen und gleichzeitig die Kompetenzen für Rüstungsexporte auf nationaler Ebene belassen. Das Europäische Parlament verpasst eine einmalige Chance, wenn es bei der Vergabe von EU-Geldern nicht gleichzeitig die Mitentscheidung über die Verwendung der so entwickelten Rüstungsgüter einfordert. Wir brauchen endlich eine unter den Mitgliedstaaten abgestimmte europäische Rüstungsexportpolitik, in die das Europaparlament mit einbezogen wird.

Kooperationen der EU-Staaten könnten auch zum Wegfall bestimmter Produktlinien und damit zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen. Wie soll das verhindert werden?

Die EU-Kommission setzt auf Effizienzsteigerungen durch Kooperation und Zusammenlegung von bisher parallel entwickelten Waffensystemen. Das impliziert, dass zumindest ein Teil der Rüstungsunternehmen in Europa in Zukunft zivile Geschäftsfelder und Produktlinien entwickeln müssen. Diese notwendigen Konversionsprozesse müssen durch europäische Programme unterstützt werden, um Jobverluste zu verhindern.

Was bedeuten die Brüsseler Pläne für das Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben?

Das Zwei-Prozent-Ziel ist in den letzten zwei Jahren obsolet geworden. Wir sollten uns in Europa endlich darauf konzentrieren, die notwendigen Kapazitäten für eine gemeinsame und effiziente Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu schaffen, als uns an einem einst willkürlich festgelegten Finanzierungsziel zu klammern. Von einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Ressourcen würde nicht nur die EU sondern auch die NATO profitieren. Deshalb sollten sich alle EU-Mitglieder in der NATO sogar für eine Revision des Zwei-Prozent-Ziels einsetzen.

Eine von manchen Kritikern befürchtete Konkurrenz zur NATO sehen Sie nicht?

Die NATO wird für Deutschland und die meisten EU-Mitglieder auch in Zukunft der wichtigste institutionelle Rahmen für die Landes- und Bündnisverteidigung bleiben. Daran wird auch die geplante europäische Rüstungsforschung oder die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern nichts ändern. Letztendlich würde hierdurch die Basis für eine stärkere Integration der europäischen Streitkräfte innerhalb der NATO gelegt werden. Davon würde auch die NATO enorm profitieren, da die meisten EU-Mitglieder auch in der NATO sind.

Welche Rolle spielen der Brexit und die Politik von US-Präsident Trump für die aktuellen Überlegungen der EU?

Großbritannien hatte bisher eine verstärkte Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verhindert. Der Ausstritt Großbritanniens aus der EU birgt, so sehr ich ihn auch bedaure, auch Chancen für eine echte Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Trumps Wahl zum US-Präsidenten und insbesondere sein Infragestellung der NATO hat uns Europäern die Dringlichkeit dieses Vorhabens verdeutlicht. Insbesondere bei Krisen in unserer unmittelbare Nachbarschaft wird es vermehrt erforderlich werden, dass wir Europäer selbstständig agieren können, angefangen bei der Krisenprävention über diplomatische Initiativen bis hin zum militärischen Eingreifen, um beispielsweise Völkermorde im Rahmen eines UN-Mandats zu verhindern.

node:vw-infobox

0 Kommentare
Noch keine Kommentare