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SPD-Chef Norbert Walter-Borjans: Das Ziel ist ein Ende der Steueroasen

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ist davon überzeugt, dass eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent sehr zur Sicherung der Staatsfinanzen beitragen wird, betont er im Interview mit dem vorwärts.
von Vera Rosigkeit · 27. Juli 2021
Finanzamt
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Werden mit der Einführung einer globalen Mindestbesteuerung Unternehmen wie Amazon und Google endlich zur Kasse gebeten?

Genau darum geht es. Wir wissen, dass global agierende Unternehmen, die in Deutschland und anderen Staaten viel Geld verdienen, sich gern aus dem Staub machen, wenn es darum geht, sich an den Kosten des Gemeinwesens zu beteiligen. Was es aber bedeutet, dass eine Gesellschaft handlungsfähig ist, erleben wir aktuell in der Hochwasserkatastrophe. Um zu verhindern, dass sich Unternehmen nur die Rosinen herauspicken und möglichst geringe Steuern zahlen, brauchen wir in der gesamten Welt eine Mindestbesteuerung. Sie wird zu mehr Gerechtigkeit beitragen.

Ist der vereinbarte Steuersatz von 15 Prozent ausreichend?

Die 15 Prozent sind ein historischer Meilenstein. Sie ebnen das Gefälle zwischen den meisten Industriestaaten und den Steueroasen enorm ein. Dafür kämpfen die SPD und allen voran Olaf Scholz seit langem. Natürlich wäre ein höherer Mindeststeuersatz wünschenswert. US-Präsident Biden hat beispielsweise für 21 Prozent plädiert. Dafür hätten wir aber selbst mit den USA an unserer Seite keine globale Einigung hinbekommen. Die 15 Prozent sind ein extrem wichtiger Fuß in der Tür, um erstmals überhaupt eine Mindestbesteuerung durchzusetzen – und sie werden wirken. Niemand hindert uns, von da aus Schritt für Schritt weiterzugehen.

Bedeutet das ein Aus für Steueroasen?

Das Ziel ist ein Ende der Steueroasen. Steueroasen sind im Regelfall Länder, die selbst verhältnismäßig wenig Industrie und wenig Einnahmen aus der Realwirtschaft haben. Sie machen ihr Geschäft damit, dass sie mit niedrigen Steuern locken und damit viele Gewinne, die in ganz anderen Ländern erwirtschaftet werden, zu sich ziehen. Das wird nicht einfach von heute auf morgen aufhören. Die bisherigen Profiteure werden sich mit viel Intelligenz und auch Skrupellosigkeit daran machen, neue Wege zu finden, an das Geld anderer zu kommen. Eine globale Mindeststeuer, wie sie jetzt vereinbart ist, macht diese unseligen Geschäftsmodelle wesentlich unattraktiver und trägt deshalb sehr zur Sicherung stabiler Staatsfinanzen bei.

Welche offenen Fragen gibt es vor der Umsetzung in 2023 noch zu klären?

Bislang ist die Steuer begrenzt auf Unternehmen, die mindestens 750 Millionen Euro Umsatz machen. Für die ganz Großen mit über 20 Milliarden Euro Umsatz und einem Gewinn von zehn Prozent gilt sogar, dass die Steuerzahlungen gerechter auf Staaten verteilt werden müssen, in denen die Giganten ihren Umsatz erwirtschaften. Dass es bereits einige Länder versuchen, sich von den einengenden Bedingungen zu befreien, war zu erwarten. Großbritannien beispielsweise möchte, dass die Regelung nicht für Banken gelten soll. Da müssen wir hellwach bleiben: Wir müssen jetzt darauf hinwirken, dass sich alle beteiligen, keine Branchen ausgenommen werden und der Satz nicht weiter nach unten gedrückt wird.

Wie hoch werden die Einnahmen aus der Mindestbesteuerung geschätzt?
Berechnungen gehen bei 15 Prozent Steuern von rund 50 Milliarden für die EU aus.. Für Deutschland rechnet man mit 5,7 Milliarden, ein erheblicher Beitrag. Denn es ist doch vielen in der Corona-Krise oder auch angesichts des Klimawandels und der Hochwasserkatastrophe klar geworden, wie wichtig es ist, ein Technisches Hilfswerk und funktionierende Rettungsdienste zu haben und sich jetzt schnell an den teuren Wiederaufbau machen zu können. Ein Staat, der nichts kostet, kann seinen Bürgerinnen und Bürgern auch keine Sicherheit geben. Um so schändlicher ist das Verhalten derer, die bei uns extrem viel Geld verdienen, sich aber bei den Gemeinschaftsaufgaben entziehen.

Was müsste im Kampf gegen Steuervermeidung noch passieren?

Die Öffentlichkeit muss Druck auf die Politik machen können, damit sie am Ball bleibt. Dazu muss sie über wirtschaftliche Aktivitäten Bescheid wissen. Deshalb brauchen wir Transparenz, um bei diesen unglaublich verschachtelten, weltweit agierenden Konzernen erkennen zu können, wo sie ihren Umsatz machen, wohin ihre Gewinne fließen und wo sie Steuern zahlen oder eben nicht. Da sind wir auf EU-Ebene mit den Regelungen zum öffentlichen Country-by-Country-Reporting ein gutes Stück vorangekommen.

Damit können zivilgesellschaftliche Gruppen öffentlichen Druck machen und die Politik aufrütteln. Wir brauchen aber auch eine gemeinsame Bemessungsgrundlage, damit Gewinne in den Staaten in gleicher Weise ermittelt werden. Es darf keine Schlupflöcher geben, die helfen, Gewinne kleinzurechnen. 15 Prozent auf je nach Staat unterschiedlich ermittelte  Gewinne wären am Ende keine einheitliche Mindeststeuer.

Das klingt nach sehr viel Arbeit?

Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir all diejenigen zu glühenden Befürwortern einheitlicher Regeln machen, die bisher von Lücken im System profitieren. Das macht enorm viel Arbeit, weil man jeden Tag überprüfen muss, ob bestehende Regeln eingehalten und nicht neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, um einer gerade vereinbarten Regelung wieder zu entgehen. Dieser Prozess hört nicht auf. Aber die Arbeit lohnt sich. Wir sind ein gutes Stück weiter als noch vor wenigen Jahren.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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