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SPD: Alles unternehmen, um Blutvergießen in Afghanistan zu verhindern

Für die SPD ist es jetzt das oberste Gebot, die Zivilgesellschaft in Afghanistan zu schützen. „Verhandlungen sind der einzige Weg zu politischer Stabilität und Frieden“, betont Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
von Lars Haferkamp · 17. August 2021
Mit den neuen Machthabern kehrt die Angst zurück nach Afghanistan: Kämpfer der radikalislamischen Taliban am 16. August 2021 in der von ihnen eingenommenen Hauptstadt Kabul.
Mit den neuen Machthabern kehrt die Angst zurück nach Afghanistan: Kämpfer der radikalislamischen Taliban am 16. August 2021 in der von ihnen eingenommenen Hauptstadt Kabul.

Nils Schmid, die aktuellen Ereignisse in Afghanistan sind dramatisch. Die nun verbleibenden Handlungsmöglichkeiten scheinen sehr begrenzt. Können die radikalislamischen Taliban Gesprächs- und Verhandlungspartner*innen des Westens sein oder müssen sie, wie in den Jahren zuvor, vor allem bekämpft werden?

Gemeinsam mit ihren Partnern hat die Bundesregierung immer wieder zurecht betont, dass durch Waffengewalt erzwungene Machtverhältnisse nicht anerkannt werden. Es muss jetzt alles unternommen werden, um ein Blutvergießen zu vermeiden. Die Zivilgesellschaft zu schützen ist dabei oberstes Gebot. Verhandlungen sind der einzige Weg zu politischer Stabilität und Frieden. Nur eine politische Lösung am Verhandlungstisch kann dann Grundlage für die fortgesetzte internationale Unterstützung Afghanistans sein.

Wir werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen, dass es in Afghanistan noch zu einer politisch ausgehandelten Friedenslösung kommt. Hierzu müssen auch die Nachbarstaaten, vor allem Pakistan, miteinbezogen werden. Auch die Taliban wissen, dass der augenblickliche militärische Erfolg nicht die dauerhafte Kontrolle über das gesamte Land garantiert.

Die Bundesregierung hat mit der Evakuierung Deutscher aus Kabul begonnen. Was geschieht mit den früheren einheimischen Helfer*innen der Nato in Afghanistan, die um ihr Leben fürchten müssen?

Die Evakuierung sämtlicher deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie aller Ortskräfte, die für Bundeswehr und NGOs sowie deren Kernfamilien tätig waren, hat am Montag begonnen. Zusätzlich sollen auch Menschen- und Frauenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Journalisten und Kulturschaffende evakuiert werden. Allerdings ist die Situation am Flughafen Kabul sehr ernst und es bleibt zu hoffen, dass in der verbleibenden Zeit insgesamt sehr viele Menschen ausgeflogen werden können.

Was ist in Afghanistan falsch gelaufen?

Wir sollten uns jetzt vor vorschnellen Schlüssen hüten. Klar ist, es wurde in den vergangenen Jahren massiv in Ausrüstung und Ausbildung der afghanischen Streitkräfte investiert sowie in den Aufbau staatlicher Strukturen. Hierbei wurde übersehen, dass die Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Regierung bzw. staatlicher Strukturen sehr gering war. Damit wurde etwa die Idee, Staatlichkeit durch militärische Absicherung zu verbessern und abzusichern letztlich ad absurdum geführt.

Zu lange haben wir der Fassade vertraut, die uns durch die Zentralregierung in Kabul vermittelt wurde, etwa die Stärke des Militärs, das überraschenderweise dem rasanten Eroberungszug der Taliban nichts entgegenzusetzen hatte, oder die fehlende Bindungskraft der Regierung in der Fläche des Landes. Korruption und Inkompetenz haben die Entwicklung Afghanistans zusätzlich gelähmt.

Rechnen Sie in Anbetracht der Ereignisse mit einer deutlich steigenden Zahl von Flüchtenden nach Europa?

Die momentane Situation in Afghanistan ist sehr dramatisch. Mit Prognosen sollte jedoch vorsichtig umgegangen werden. Die Erfahrung zeigt uns, dass ein Großteil der Flüchtlinge in die Nachbarstaaten flieht und dort zunächst einmal verbleibt. Hier muss die internationale Gemeinschaft dringend schnell zusammenkommen, um gemeinsam mit den betreffenden Staaten den Geflüchteten vor Ort bestmöglich zu helfen. Zugleich wird auch der Druck, der von der Fluchtbewegung ausgeht, ebenso an der europäischen Außengrenze wahrnehmbar sein. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, müssen sich darauf umgehend vorbereiten.

Nach 20-jährigem Einsatz der Nato in Afghanistan übernehmen nun die Taliban wieder die Kontrolle über das Land. Sie wollen ein Kalifat errichten und die Scharia wieder einführen. War der militärische Einsatz des Westens und der Bundeswehr damit vergebens?

Die Taliban stehen für ein rückwärtsgewandtes archaisches Gesellschaftsbild. Die Sorge um den Erhalt der erzielten Errungenschaften beispielsweise bei den Frauenrechten oder im Bildungsbereich ist daher berechtigterweise leider sehr groß.

Nachhaltigen Frieden wird es in Afghanistan jedoch nur durch eine politisch ausgehandelte Lösung geben können. Die Gespräche hierüber sind bislang sehr mühsam und leider immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet. Es gibt hierzu aber keine Alternative.

Wie erfolgt die Beteiligung des Bundestags?

Das Kabinett wird nächsten Mittwoch zusammenkommen und ein entsprechendes Mandat beschließen, dass dann unmittelbar an den Bundestag weitergeleitet und am 25. August durch das Parlament nachträglich mandatiert wird. Darüber hinaus erfolgt fortlaufend eine Unterrichtung zur aktuellen Lage durch die Bundesregierung auf unterschiedlicher parlamentarischer Ebene.

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Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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