Zu dieser Überzeugung kommen fast alle Pariser Medien. In eine unappetitliche Sexaffäre in New York verstrikt ist DSK aus dem Rennen. Das öffentliche Interesse gilt nun dem
57-jährigen ehemaligen PS-Vorsitzenden Francois Hollande, der sich im Schatten von DSK geschickt und zielstrebig nach vorn gearbeitet hat.
In den vergangenen Monaten war Strauss-Kahn, als Finanz- und Wirtschaftsexperte international hoch angesehen, ein erfolgreicher Generaldirektor an der Spitze des Internationalen
Währungsfonds (IWF). Zuletzt hat er finanzpolitische Hilfspakete für hochverschuldete und ökonomisch angeschlagene Länder wie Griechenland und Portugal mit den internationalen Partnern
ausgehandelt. Er galt im IWF als kompetente europäische Stimme. Nun wird der Sozialist an keinen Verhandlungen und Spitzentreffen mehr teilnehmen. Auch als aussichtsreichster
Präsidentschaftsbewerber in Frankreich fällt er aus. Er sitzt derzeit in New Yorker Untersuchungshaft. Die Anklage wegen sexueller Aggression, Geiselnahme und versuchter Vergewaltigung eines
Zimmermädchens ist so gravierend, dass der Franzose als Kandidat und Hoffnungsträger der PS definitiv ausfällt. DSK streitet alle Vorwürfe entschieden ab.
Probleme mit luxuriösem Lebenswandel
Die PS-Vorsitzende Martine Aubry sah in ihm einen Bewerber, der Präsident Nicolas Sarkozy hätte durchaus schlagen können. Mit DSK hatte sie eine Abmachung getroffen, als PS-Kandidaten
gegenseitig nicht anzutreten. Als dritter Anwärter auf das höchste Staatsamt in der Grande Nation bringt sich seit einigen Wochen der 57-jährige Ex-Parteichef Francois Hollande ins Spiel. Er
ist wie Martine Aubry von den juristischen Vorgängen um DSK tief getroffen. Er wird seine parteiinterne Bewerbung nicht zurückziehen. In letzten Meinungsumfragen lag er nur drei Punkte hinter
DSK. Doch der Lebenswandel des IWF-Chefs eckte bei seinen Kollegen an: Zu luxuriös, zu abgehoben, eher ein "Kaviar-Linker als ein Mann des Volkes". Dagegen tritt Hollande wie der volksnahe
Erbverwalter des früheren sozialistischen Präsidenten Francois Mitterrand auf. Dennoch ist eine Rivalität mit Aubry um die offzielle Kandidatur nicht ausgeschlossen.
Die PS-Chefin wird sich im Lichte der Sexaffäre von DSK nicht an den Pakt mit ihm gebunden fühlen. Die Frage ist, ob der linke Flügel ihren Amtsvorgänger akzeptiert, den sie zum
sozialdemokratischen Flügel zählt. In einem Meinungstest der Pariser Sonntagszeitung "Journal de Dimanche" lag er vor seiner Parteikollegin (Harris-Institut: 34 Prozent für DSK, 24 für Hollande
und 18 für Aubry). Die Umfrage soll bestätigen, dass Francois Hollande durchaus eher als Aubry in der Lage ist, Sarkozy schon im ersten Durchgang der Präsidentenwahl schlagen zu können.
Einigung oder Spaltung
Ein politisches Comeback von DSK gilt in Paris als ausgeschlossen. Und doch wird die Frage gestellt: Und falls Dominique Strauss-Kahn vor der Präsidentschaftswahl im Mai 2012 relativ
ungeschoren und sogar entlastet nach Frankreich zurückkehrt? Die Parteispitze ist sichsicher: DSK wird sich vom Sexskandal nicht mehr erholen. Zu schwer ist die Anklage in den USA. Die
Parteimehrheit wird ihm keine Chance geben.
Martine Aubry denkt nicht anders. Die Kernfrage ist im Augenblick, ob sie selbst auf eine Bewerbung verzichtet und Francois Hollande den Vortritt lässt. In sechs Wochen werden die
Parteimitglieder abstimmen. Nichts wäre in der PS aber schädlicher und bei ihren Wähler auch unverständlicher als der Ausbruch einer fetzenfliegenden Rivalität, die die Partei spalten müsste.
ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).