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Sommerurlaub in Corona-Zeiten: Wie die Türkei um deutsche Tourist*innen kämpft

Die Türkei ist das drittbeliebteste Reiseland der Deutschen. In der Corona-Krise brechen die Zahlen ein. Ihre Hoffnung auf Touristen haben die Türk*innen aber noch nicht aufgegeben.
von Kristina Karasu · 16. Juni 2020
Zeichen der Hoffnung: Seit Anfang Juni ist der große Basar in Istanbul wieder geöffnet. Vom geschäftigen Treiben der Vor-Corona-Zeit ist er jedoch weit entfernt.
Zeichen der Hoffnung: Seit Anfang Juni ist der große Basar in Istanbul wieder geöffnet. Vom geschäftigen Treiben der Vor-Corona-Zeit ist er jedoch weit entfernt.

Am Ufer des Bosporus ist es lebendig wie eh und je: es schreien die Straßenverkäufer, hupen die Autos, scherzen die jugendlichen Passanten. Viele tragen Masken, doch viel mehr erinnert nicht mehr an die Corona-Pandemie.

Einige Straßen weiter hingegen herrscht gespenstische Stille: Die meisten Geschäfte, Cafés und Hotels im historischen Istanbuler Viertel Sultanahmet sind geschlossen, nur vereinzelt huschen Menschen über die Straße. Im touristischen Herz der Stadt scheint der Lockdown noch anzuhalten.

Die Türkei hofft auf eine Ausnahme von Reisewarnungen

Serafet Garip sitzt in seiner Reiseagentur und wartet. „Arbeit gibt es nicht, ich versuche mir bloß die Zeit zu vertreiben“, sagt er. Dabei macht er damit nur Verlust. Ein, zwei Flugtickets stellt er am Tag aus, mehr nicht. Die Händler um ihn herum halten die Läden noch geschlossen, um die Ausgaben gering zu halten, ohne Touristen lohnt es sich nicht zu öffnen. „Ich wirke vielleicht ruhig, aber ich lebe in großem Stress“, gibt Garip zu. „Ein, zwei Monate halte ich noch so aus, aber länger schaffen wir das nicht.“

Ständig verfolgt er die Nachrichten. Die Türkei hat in der vergangenen Woche ihre Ein- und Ausreisebeschränkungen aufgehoben, außer für Iran. Türkische Fluglinien nehmen ihren internationalen Flugverkehr wieder schrittweise auf. Deutschland dagegen hat vergangene Woche seine Reisewarnung für 160 Länder der Welt bis zum 31. August verlängert. Außenminister Heiko Maas erklärte: „Wir haben für den Rest der Welt heute noch nicht die gemeinsamen belastbaren Datengrundlagen, Kriterien und Abstimmungsprozesse, die einen uneingeschränkten Reiseverkehr ohne unkalkulierbare Risiken wieder möglich machen.“ Ausnahmen mit einzelnen Ländern seien aber möglich.

Darauf hofft die Türkei; beide Regierungen stehen seit Wochen in ständigem Austausch, Erdogan will in diesen Tagen mit Merkel telefonieren. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu zeigte sich enttäuscht über die Verlängerung der Reisewarnung: Alles sei vorbereitet für eine sichere Reise in die Türkei, sagte Cavusoglu dem Spiegel. Hotels können ein freiwilliges Hygiene-Zertifikat beantragen, überprüft wird das vom TÜV Süd. Auch für Gastronomie und Flugverkehr gelten hohe Auflagen. „Die wissenschaftlichen Gründe hinter der Entscheidung sind für uns nur schwer zu verstehen“, so Cavusoglu.

Devisen aus dem Ausland sind für die Türkei lebenswichtig

Für die Türkei, wirtschaftlich schon vor Corona angeschlagen, geht es um viel. 12,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steuert der Tourismus bei, allein im letzten Jahr kamen fünf Millionen Gäste aus Deutschland in die Türkei. Durch die hohe Auslandsverschuldung der Türkei wäre es zudem überlebenswichtig, dass mit den Touristen auch ausländischen Devisen ins Land kommen. Zugleich hat die türkische Lira gegenüber Euro und Dollar in den letzten Wochen wieder enorm an Wert verloren; für Touristen bedeutet das ein sehr günstiger Türkei-Urlaub. Wenn da nicht Corona wäre.

Lange Zeit sah es so aus, als ob die Türkei vergleichsweise gut durch die Pandemie kam: die Fallzahlen sind niedriger als in Deutschland, die Todeszahlen sogar weit darunter. Hochengagierte Ärzte, strikte Regeln und ein gut organisiertes Gesundheitssystem hatten die Epidemie eingedämmt.

Doch seit einigen Tagen steigen die Fallzahlen wieder, lagen am Sonntagabend bei 1562 neuen Fällen innerhalb von 24 Stunden. Das hängt wohl mit der weitgehenden Lockerung der Corona-Maßnahmen seit Anfang Juni zusammen. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob dies der Beginn einer zweiten Welle ist oder nur ein kurzfristiger Anstieg. Der türkische Gesundheitsminister wird nicht müde zu erklären, dass Masken, Abstand und Hygienemaßnahmen die wichtigsten Waffen gegen das Virus sind.

Sonnenliegen mit großem Abstand

Am Eingang des Großen Basars wird allen Besuchern Fieber gemessen, Desinfektionsmittel für die Hände stehen bereit. Die Gassen des Basars sind leer, auch hier sind noch viele Geschäfte geschlossen. Nur einige Händler sitzen vor ihren Läden und trinken Tee. Zu normalen Zeiten tummeln sich hier Menschenmassen aus Ländern aller Welt. Doch normal, das zeigt sich schnell, ist hier noch nichts.

In den überwiegend regierungstreuen türkischen Medien sieht man solche Bilder hingegen nicht: Dort wurde nur die feierliche Wiedereröffnung des großen Bazars Anfang Juni gezeigt oder wie an den Stränden von Antalya Sonnenliegen mit großem Abstand zueinander aufgestellt werden. Während Regierungspolitiker und ihnen nahestehende Medien sonst nicht mit harschen Worten gegenüber Europa geizen, halten sie sich diesmal zurück.

Im großen Basar schaut ein Verkäufer bunter Glaslampen im Bazar seufzend auf sein Handy, die Maske im Gesicht. Ob er es Ländern wie Deutschland übel nimmt, ihre Reisewarnung für die Türkei verlängert zu haben? Er winkt ab. „Corona betrifft die ganze Welt, zielt nicht allein auf die Türkei ab. Die Reisewarnungen sind zweitrangig. Die Menschen haben Angst zu verreisen, das ist ganz natürlich. Wir haben doch selber Angst.“ Sein Chef kommt dazu, er will positiver denken. „Wir freuen uns wenn die Gäste kommen, wirklich. Vor allem die deutschen Gäste. Und wenn es erst im Herbst ist. Wir tun alles dafür.“

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Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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