Die einstige Republik Somalia ist in drei Regionen zerfallen: Puntland, Somaliland und das Gebiet um die Hauptstadt Mogadischu, die von unterschiedlichen Regierungen kontrolliert werden, jedoch international nicht anerkannt sind. Eine zentrale Kraft, die für Sicherheit und Ordnung sorgt, gibt es in Somalia nicht. Immer wieder kommt es zu heftigen Kämpfen, al-Quaeda soll hier Ausbildungslager unterhalten, vor der Küste lauern Piraten.
Staaten auf der Kippe
"Ein Staat scheitert dann, wenn er die Kontrolle über sein Territorium verliert," sagt Pauline Baker von der
Stiftung Fund for Peace. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit gescheiterten Staaten und hat den "
Failed State Index" mitentwickelt, der die internationale Gemeinschaft aufklärt, welche Staaten auf der Kippe stehen. "Mit unseren
jährlichen Untersuchungen versuchen wir langfristige Trends herauszufinden und vor allem zu warnen, wenn Staaten schwächeln," sagt Baker.
Gescheiterten Staaten fehlt die zentrale Instanz, um Sicherheit und Ordnung herzustellen. Sie sind Schauplatz von humanitären Katastrophen und führen zu riesigen Flüchtlingsströmen, destabilisieren ganze Regionen und bieten internationaler Kriminalität und Terrorismus Rückzugsgebiete.
Ohne internationale Hilfe
Somalia steht auf dem "
Failed State Index" seit Jahren auf dem ersten Platz. Zwar regiert in der Hauptstadt Mogadischu eine Übergangsregierung,
allerdings reicht ihre Macht nicht über die Grenzen der Hauptstadt hinaus. Immer wieder muss sie sich heftige Gefechte mit anderen bewaffneten Gruppen liefern. Die Bevölkerung ist auf sich allein
gestellt, schon lange kann der Staat nicht mehr für ausreichend Nahrung, sauberes Wasser, sicheren Wohnraum, Bildung oder Gesundheit sorgen. Der Sitz Somalias bei den Vereinten Nationen ist nicht
mehr besetzt, internationale Hilfe leisten nur noch Nicht-Regierungsorganisationen.
Für die Menschen in Somalia wie in jedem anderen gescheiterten Staat bedeutet das Elend, Hunger, Armut und Krieg. Ohne Armee, Verwaltung, Polizei, Lehrer, Richter und Ärzte sind sie vollständig auf sich selbst gestellt oder auf lokale Kriegsfürsten angewiesen. Die Entwicklungschancen der Menschen sind nirgendwo so schlecht wie dort.
Wie Somalia so liegen die meisten gescheiterten Staaten in Afrika südlich der Sahara. Auf dem Failed State Index folgen der Tschad (Platz 2), der Sudan (3), Simbabwe (4) und die Demokratische Republik Kongo (5). Dann erst wechselt der Index die Region und führt Afghanistan und den Irak auf Platz sechs und sieben an, zurück geht es nach Afrika in die Zentralafrikanische Republik (8) und nach Guinea (9), dann nach Pakistan (10), mit Haiti (11) in den einzig scheiternden lateinamerikanischen Staat und schließlich zurück in die Elfenbeinküste nach Afrika (12).
Diktaturen, Regierungsumbrüche und Naturkatastrophen
Dabei sind die Ursachen für das Scheitern vielschichtig. In Somalia, Afghanistan und Irak hinterließen Regierungsumbrüche ein Machtvakuum und ließen die aus verschiedenen
Bevölkerungsgruppen zusammengesetzten Staaten kollabieren. In Simbabwe ist es ein machthungriger Diktator, der sein Land stur in Grund und Boden gewirtschaftet hat, in Haiti zahlreiche
Regierungsumstürze, Naturkatastrophen und endemische Korruption.
Der Fund for Peace sucht die genauen Ursachen zu analysieren. Dabei werden zwölf verschiedene Faktoren betrachtet, vier soziale, zwei ökonomische und sechs politische, so die Bevölkerungsentwicklung, Flüchtlingsbewegungen, das Vorhandensein von bewaffneten Gruppen, Ungleichheit und Wirtschaftszerfall, Unzufriedenheit mit dem Staat, Versorgung der Grundbedürfnisse, die Lage der Menschenrechte und externe Einmischungen anderer Staaten. Schließlich werden alle Staaten in vier verschiedene Klassen eingeteilt: Alert (Alarm), Warning (Warnung), Moderate (moderat) und Sustainable (zukunftsfähig, tragbar).
Hoffnung
Zudem berichtet der Fund for Peace auch, wo sich die Lage verbessert. "Am Kap brachten Rassenunruhen und interne Konflikte Südafrika an die Grenze zum Chaos. Heute ist es eine der
stabilsten Demokratien des südlichen Afrikas," sagt Pauline Baker, "die internationale Gemeinschaft steht in der Verantwortung, sich für schwache Staaten einzusetzen. Dazu müssen wir verstehen,
was in gescheiterten Staaten schief gelaufen ist, welche Instrumente die Probleme lösen können und wie wir sie in neuen Krisenstaaten anwenden können."
Der somalische Staat liegt seit zwanzig Jahren am Boden. Aber aus der Analyse seiner Probleme ergeben sich auch Hinweise, wie dem Land und seinen Menschen geholfen werden kann. Präsident Scheich Scharif Scheich Ahmed sucht einerseits mit seinen Gegnern zu verhandeln, andererseits mit Waffengewalt das staatliche Gewaltmonopol zurückzuerobern.
Bei der Bevölkerung bemüht er sich mit stabilisierenden Maßnahmen, der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und Wahlen erneut Legitimität zu erwerben. Allerdings musste er die Wahlen aufgrund der instabilen Lage gerade verschieben. Ist ein Land erst so am Boden wie Somalia, fällt der Wiederaufbau besonders schwer. Der Fund for Peace gibt auch deshalb seinen Index heraus, um die internationale Gemeinschaft früh auf gefährdete Staaten hinzuweisen.
vorwärts.de
wird sich in einer Serie den "Failed States" annehmen und schauen, was Deutschland tun kann und sollte. Mehr Informationen unter
www.fundforpeace.org
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.