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So viel Sowjetunion steckt in Putins Russland

Mit dem Kommunismus der Sowjetära hat das Russland von heute nichts gemein. Doch von der Sowjetunion übernimmt es die außenpolitische Überzeugung, seine Nachbarn hätten nur eine eingeschränkte Souveränität. Damit kehrt die längst überwunden geglaubte Breschnew-Doktrin zurück.
von Dmitri Stratievski · 6. Dezember 2016
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Vor 25 Jahren ging die Geschichte eines der mächtigsten Staaten der Moderne zu Ende. Am 8. Dezember 1991 unterzeichneten die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Weißrussland die Vereinbarung über die Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Zugleich wurde die UdSSR für erledigt erklärt. Diesem Beispiel folgten Staatsoberhäupter weiterer Unionsrepubliken, während das Baltikum sich von der Sowjetunion schon vorher gelöst hatte. Auch das Sowjetparlament beschoss schließlich die Auflösung der UdSSR. Der Zerfallsprozess endete am 26. Dezember 1991, als Michail Gorbatschow zurücktrat.   

Russland ist Erbe nicht Rechtsnachfolger der Sowjetunion

Im Sinne des internationalen Rechts ist Russland kein Nachfolgestaat der Sowjetunion. Hier ist eher der Begriff Kontinuität zutreffend. Russland erbte von der UdSSR den ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat und die Kontrolle über die sowjetischen Atomwaffen, galt aber nicht direkt als Rechtsnachfolger der Sowjetunion.

Gerade die russische Führung um Boris Jelzin erwies sich im Machtkampf gegen Gorbatschow als Anhängerin der Eigenständigkeit Russlands und beschleunigte die Auflösung der Sowjetunion. Im Inland wurde eine ökonomische Karte gespielt: Den Russen wurde dank der Trennung von den angeblich wirtschaftsschwachen Regionen mehr Wohnstand versprochen.

Putin beklagte mehrfach den Zerfall der UdSSR

Die Bevölkerung Russlands unterstützte jedoch diese Strategie bis auf Intelligenzija- und Unternehmerkreise nicht. In den 90er Jahren beherrschte die bereits demokratisch gewählte Kommunistische Partei das russische Parlament und sorgte 1996 für den Duma-Beschluss über die Rücknahme der Entscheidung der sowjetischen Legislative von 1991 zur Auflösung der Sowjetunion, allerdings ohne jede rechtliche Wirkung. Die Führungsriege Russlands blieb antikommunistisch.

Wladimir Putin übernahm den sowjetkritischen Staffelstab seines Vorgängers. Er bedauerte zwar mehrfach den Zerfall der UdSSR verbal, festigte im Gegensatz dazu seine Machtfülle als russischer Präsident in Kooperation mit den Oligarchen.

Russen bedauern Zerfall des Sowjetreiches

Der jüngsten November-Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums zufolge bedauern 56% der Russen den Zusammenbruch der Sowjetunion, 51% finden, der Untergang des Sowjetstaates hätte verhindert werden können. Nur 28% der Befragten äußern kein Bedauern darüber.

Trotz dieses Weltbildes fährt der Kreml einen anderen Kurs. Die KP Russlands wurde unter Putin zu einer „tolerierbaren“ Quasi-Opposition degradiert, die dem Kreml keinen Ärger bereitet. Moskau nahm endgültig Abschied von den ideologischen und wirtschaftlichen Prämissen der Sowjetära. Ungeachtet dessen sind in der russischen Politik deutliche Parallelen zum sowjetischen Handwerk zu verfolgen, besonders in der Außenpolitik. 

Kreml sieht verminderte Souveränität der Ex-Sowjetrepubliken

Das Ausland ist aus russischer Sicht zweitgeteilt: in ein „nahes“ Ausland, das ist der postsowjetische Raum, und in ein „fernes“ Ausland, das ist der Rest der Welt. Das „nahe“ Ausland wird in Moskau bedingungslos als Einflusssphäre Russlands betrachtet, analog zur Zwei-Lager-Teilung im Kalten Krieg. Im „fernen“ Ausland versucht der Kreml mithilfe geheimdienstlicher und medialer Einflussnahme Fuß zu fassen, wie es einst in Westeuropa vor 1990 geschah.

Die russische Elite hat eine Vorstellung von Geopolitik aus dem 20. Jahrhundert, sie steht der Breschnew-Doktrin nahe, die nur eine eingeschränkte Souveränität der Ostblockstaaten unter Oberhoheit des Kreml vorsah. Somit wird stillschweigend von einer verminderten Souveränität der postsowjetischen Staaten ausgegangen, das betrifft auch die Westorientierung dieser Staaten. Ein Verstoß gegen das von Moskau beanspruchte Sonderrecht der Einflussnahme auf die Ex-Sowjetrepubliken kann eine Grenzverschiebung oder eine militärische Intervention zur Folge haben, wie etwa in Georgien und in der Ukraine.

Moskau will seine Einflußsphäre zurück

Der Kreml geht davon aus, dass die Jalta-Ordnung, also die Teilung der Welt in Einflußsphären, mit kleinen Schönheitsreparaturen, fortlebt und mit dem Weltfrieden verknüpft werden soll, so der Haupttenor der UN-Rede Putins 2015. Die Post-Jalta-Regelungen der Entspannungszeit wie die Charta von Paris 1990, welche die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten in Europa sowie ihr Recht, ihre Bündnispartner frei zu wählen, festschrieb, sind für die russische Führung nicht mehr bindend, genauso wie die Lenin-Regierung die Vereinbarungen des Zarenreiches für nichtig erklärte.

Der Kreml passt heute das Sowjetische ideologiefrei an seine Politik an und benutzt es, dort wo es ihm nutzt, für seine aktuellen politischen Zwecke.            

 

Autor*in
Dmitri Stratievski

ist promovierter Historiker, Politologe und Osteuropa-Experte.

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