So reagiert die internationale Presse auf den Kanzlerkandidaten Schulz
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Sigmar Gabriel verzichtet auf die SPD-Kanzlerkandidatur und macht Platz für Martin Schulz. Europaweit wird diese Entscheidung mit Interesse verfolgt – schließlich war Schulz bis vor kurzem noch Präsident des Europaparlaments. Statt die Abgeordneten von 28 EU-Mitgliedsstaaten zu repräsentieren, wird Schulz nun Angela Merkel herausfordern.
Die französische Zeitung „Le Monde“ schreibt: „Aktuellen Umfragen zufolge erscheint Martin Schulz, dessen beruflicher Werdegang hauptsächlich auf der europäischen Ebene stattgefunden hat, klar am besten platziert, um zu versuchen, Frau Merkel bei den Wahlen am 24. September davon abzuhalten, eine vierte Amtszeit als Kanzlerin zu gewinnen. Nach dem derzeitigen sozialdemokratischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und dem konservativen Finanzminister Wolfgang Schäuble gehört er zu den beliebtesten Politikern in Deutschland.“
Kanzler Schulz: „Größtmögliche europäische Gestaltungsmacht“
Die Schweizer „NZZ“ macht deutlich, vor welchen Herausforderungen der Europapolitiker Schulz nun steht: „Bei seinem Rücktritt bezeichnete Schulz die EU als ‚zivilisatorisches Projekt‘, für das er sich nun von nationaler Ebene aus einsetzen wolle. Würde er tatsächlich zum Kanzler gewählt, hätte Schulz die größtmögliche europapolitische Gestaltungsmacht. Zunächst aber wird er den Wechsel vom europäischen zum nationalen Politiker vollziehen müssen, der neben der Weltpolitik auch die Alltagssorgen der Wähler versteht.“
Die „Financial Times“ sieht in der Kandidatur Schulz‘ Potenzial: Zwar sei Schulz, „eines der größten Tiere in Brüssel“, in Deutschland immer noch relativ unbekannt. Aber: „Das muss kein Nachteil sein in einem Land, das seit 11 Jahren die gleiche Kanzlerin hat und nach neuen Gesichtern hungert.“
Die italienische „La Repubblica“ ist nicht so optimistisch: Viele, auch in der SPD, fänden Schulz‘ Profil „zu europäisch“ für eine Wahlkampagne, von der selbst Merkel zugibt, dass sie aufgrund des von der AfD propagierten Nationalismus und Populismus „sehr schwierig sein wird“.
Schwierige Zeiten für die europäische Sozialdemokratie
Der „Courrier International“ weist darauf hin, dass die Zeiten für die Sozialdemokratie nicht nur in Deutschland schwierig sind: „Die Schwierigkeiten der SPD zeugen von einer allgemeinen Krise der europäischen Sozialdemokratie, während die konservativen Parteien und die Populisten von rechts wie von links überall an Boden gewinnen, indem sie vor allem eine volkstümliche Wählerschaft ansprechen.“
Hat Martin Schulz also überhaupt eine Chance? „Politico Europe“ präsentiert fünf Wege, wie Schulz und die SPD Angela Merkel bei der Wahl schlagen wollen: Die SPD in den Kampfmodus bringen, die Linke vereinen, die einfachen Leute ansprechen, das Thema Einwanderung, wo es geht, vermeiden und auf die eigenen Stärken setzen. Von diesen Stärken biete Schulz eine Menge: „In einem Land, in dem Politiker gerne mit ihren Doktortiteln angeben, ist Schulz ein Schulabbrecher, der keine Universität besucht hat. Er hat – erfolgreich – den Alkoholismus besiegt und persönliche Kritik aus bestimmten Bereichen der Medien ist ihm nicht fremd.“ Trotzdem wisse Schulz sich zu inszenieren und seine Position als „Deutschlands einflussreichster Mann in Brüssel“ zu nutzen.