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So leben die Menschen in Aleppo unter Assads und Putins Bomben

Hunderttausende Zivilisten sind in der syrischen Stadt Aleppo eingekesselt: von den Assad-Truppen und seinen Unterstützern. Hilfe suchen die Eingeschlossenen bei islamistischen Kämpfern. Vom Westen sind sie schwer enttäuscht.
von Jörg Armbruster · 10. August 2016
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Es ist heiß in Aleppo. Weit über dreißig Grad. Jeden Tag. Die Menschen haben Durst. Aber Wasser? Das gibt es kaum und wenn, muss es aus improvisierten Brunnen hochgepumpt werden. Eine trübe Brühe fließt dann aus den Leitungen. Nur selten klares Wasser. Wenn überhaupt etwas kommt. Kaum genießbar. Doch mit selbstgebauten Filtern lässt es sich annähernd trinkbar machen.

Verzweifelte Suche nach Wasser und Medikamenten

„Einige Menschen werden davon krank. Aber wir haben nichts Anderes. Schließlich braucht der Mensch Wasser“, erzählt Abu Mohamed, der im einzigen noch funktionierenden Krankenhaus der Stadt arbeitet. Über eine Skype-Verbindung können wir miteinander reden, vermittelt von der Organisation „Deutsch-Syrische Ärzte für humanitäre Hilfe“, die immer noch versucht Medikamente und Krankenhausausrüstung in die Stadt zu transportieren. Irgendwie.

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO und UNICAF warnen vor einer humanitären Katastrophe in der Stadt. Jederzeit können epidemisch durch Wassermangel ausgelöste Krankheiten ausbrechen.

Immer noch eingekesselt

Aleppo – seit drei Wochen eine von den Assad-Truppen und deren Helfershelfern aus dem Iran, dem Libanon, dem Irak und Russland eingekesselte Stadt, abgeschnitten von jedem Nachschub, verlassen von der Außenwelt. Allerdings war es zuletzt den Rebellentruppen aus Al Kaida-nahen Milizen und anderen Djihadisten gelungen, den Belagerungsring zu durchstoßen und so den Bewohnern und Kämpfern etwas Luft zu verschaffen, auch wenn sie noch keinen sicheren Korridor in Richtung Türkei unter ihrer Kontrolle haben. Kein Wunder also, wenn Arzt Abu Mohamed zurückhaltend reagiert auf die Frage nach diesem Erfolg: „Wir sind immer noch eingekesselt. Selbst wenn ein Auto versuchen sollte aus der Stadt zu fahren, wird es sofort aus der Luft angegriffen. Wir sind immer noch eingeschlossen.“

Nur wenn es den Milizen tatsächlich gelingt auf Dauer einen solchen Korridor freizukämpfen, kann auch Nachschub in die Stadt gelangen. Lebensmittel zum Beispiel für die rund 250.000 Zivilisten, die in der Stadt geblieben sind und kaum noch etwas zu essen haben oder Medikamente für das einzige noch arbeitende Krankenhaus mit seinen sieben Ärzten. Natürlich auch Munition für die Milizen, die diesen militärischen Erfolg wie einen großen Sieg gefeiert haben. Diese Rebellenkämpfer fühlen sich nun wieder stark nach den Niederlagen der vergangenen Wochen; und unter den radikal-islamistischen Kämpfern wie auch unter der Zivilbevölkerung gilt eine Truppe inzwischen sogar als der Champion, weil sie am meisten zum Durchbruch des Belagerungsrings beigetragen hat. Ihren alten Namen Jabhat al Nusra hat diese seit 2013 mit Al Kaida verbündete Truppe abgelegt, stattdessen firmiert sie seit ein paar Wochen unter dem Label Jabhat Fatah al Sham (Front der Eroberer der Levante), um damit der Welt deutlich zu machen, dass sie sich von Al Kaida tatsächlich losgesagt hat.

Mutige Befreier oder islamistische Terroristen?

Wenn auch im Westen kaum einer diese Häutung für bare Münze nimmt, eher einen Etikettenschwindel unterstellt und sie weiter als Terrortruppe einstuft, in Aleppo genießt diese den Tod verachtenden Djihadisten hohes Ansehen. Auch Arzt Abu Mohamed korrigiert sofort, als ich ihn nach diesen Kämpfern frage: „Es gibt bei uns keine Terroristen. Das ist eine Propagandalüge von Assad. Wir sind keine Terroristen!“ Etwas wütend klingt seine Stimme schon, vielleicht hat aber auch der lange Skype-Weg von Aleppo nach Deutschland seine Stimme nur verzerrt.

Ausführlich erzählt er von den Sorgen der Ärzte, der Not der Stadtverwaltung von Aleppo und der Verzweiflung der Menschen, die dort immer noch leben: „Geblieben sind nur die Armen, die Alten und die, die aus anderen Gründen nicht wegkönnen. Auch viele Kinder leben noch hier, gehen selten zur Schule, kämpfen täglich ums Überleben. Lebensmittel gibt es kaum noch und wenn, sind sie astronomisch teuer.“ Alles sei knapp: Reis, Gemüse, Zucker, selbst Salz ist kaum noch zu bekommen. „Wir haben kürzlich Salz gebraucht und es erst nach stundenlangem Suchen bekommen.“ Es gäbe außerdem kaum Elektrizität oder Petroleum zum Kochen.

Aleppo kann nicht mehr lange durchhalten

Der 35-jährige Arzt Abu Mohamed erklärt, der aus 20 Mitgliedern bestehende Stadtrat versuche zwar die unmittelbare Not zu lindern, indem er den Schwarzmarkt bekämpft, Lebensmittel verteilt oder nach Wasser bohren lässt. Letztendlich könne er aber nur den Mangel einigermaßen gerecht verteilen. „Vielleicht zwei, maximal drei Monate kann die Stadt noch durchhalten.“ Auch sein Krankenhaus kann vielleicht noch diese Zeit mit den vorhandenen Vorräten überleben.

Wie lange es tatsächlich arbeiten kann, wisse er auch nicht; denn Assads Flugzeuge griffen gezielt Krankenhäuser an. Eine Behauptung, die die WHO bestätigt. Allein im Juli habe die Luftwaffe Assads zehn medizinische Einrichtungen in Rebellenteil von Aleppo angegriffen und zerstört, sagt sie. Was aber kommt, wenn sein Krankenhaus nicht mehr arbeiten kann? Das wisse er auch nicht. Sogar über die schlechte Skype-Leitung sind seine Ratlosigkeit und seine Verzweiflung nachfühlbar. Immer wieder macht er Pausen, wohl auch, weil er um seine Fassung ringen muss. In einer dieser Pausen hört man deutlich die Sirenen einer Ambulanz im Hintergrund. Ein Luftangriff? „Nein kann ich nicht sagen. Ich habe keinen gehört, vielleicht in einem anderen Distrikt.“

Assads Fassbomben, Putins Streubomben

Unaufgeregt und routiniert klingt seine Stimme bei dieser Lagebeschreibung während des skype-Gesprächs, schließlich erlebt die Stadt täglich über 50 Luftangriffe von Assads Luftwaffe oder russischen Bombern. „Die Assad-Flugzeuge oder Hubschrauber werfen in erster Linie Fassbomben auf die Bevölkerungszentren ab, die Russen greifen mit Streubomben an“, behauptet er. Er kenne nicht alle Waffen, manchmal setzten Assad oder die Russen ihm unbekannte Bomben ein, die aber verheerende Zerstörungen anrichteten. Über Abwehrwaffen gegen diese Angriffe von oben verfügen die Rebellentruppen nicht, zu eng seien die gemäßigten Rebellentrupps mit extremistischen verbunden, als dass man sie mit solchen Waffen ausrüsten könne, argumentiert der Westen.

Nicht nur deswegen seien die Verteidiger von Aleppo enttäuscht vom Westen, der habe ja noch nicht einmal Assad gezwungen keine Fassbomben mehr einzusetzen. „Von den Verhandlungen in Genf erwarte ich nicht viel, wenn sie überhaupt weitergehen. Assad will eine militärische Lösung. Er versucht Aleppo als Geisel zu nehmen. Das wird ihm nicht gelingen.“ Die Stimme des Arztes in Aleppo klingt zu allem entschlossen. Immerhin haben die permanenten Luftangriffe Assads und Putins letztendlich zu einem engeren Schulterschluss zwischen den Djihadisten, AlKaidisten und dem Rest der Gemäßigten in der Stadt geführt und damit geeint, was sich vorher gelegentlich sogar bekämpft hatte.

Assad bombardiert sein eigenes Volk

Nach vierzig Minuten wird die Verbindung immer schlechter. Noch eine letzte schnelle Frage: „Glaubst Du, dass Ihr gewinnt?“ Eine Pause, so lang, dass ich fast schon befürchte, die Leitung sei unterbrochen. Dann richtig heftig: „Natürlich werden wir gewinnen. Assad ist ein Verlierer. Dass er sein eigenes Volk bombardiert, zeigt doch, dass er ein Verlierer ist. Sonst würde es das nicht machen. Natürlich gewinnen wir“, ruft Abu Mohamed, der in Wirklichkeit ganz anders heißt, in sein Laptop-Mikro in Aleppo, fast beleidigt klingt es. Aber mal ehrlich. Hätte er etwas Anderes sagen können?

Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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