So kritisch sieht Martin Schulz die Lage der EU
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sieht die Lage der EU nach dem letzten Gipfel von Bratislava als „nach wie vor schwierig“. Vor der Bundespresskonferenz in Berlin gab er am Donnerstag eine Einschätzung der aktuellen Situation. Die EU sei in einer „entscheidenden Phase“. Zu den ungelösten Hauptproblemen gehören für ihn dabei die Flüchtlingspolitik und der anstehende Austritt Großbritanniens aus der EU.
Martin Schulz: „Mehr Solidarität“ nötig
Schulz sah auf dem letzten EU-Gipfel in Bratislava zwar eine Annäherung der Mitgliedsstaaten in der umstrittenen Flüchtlingspolitik. Er nannte „kleine Schritte nach vorn“. Das reiche aber nicht. „Mehr Solidarität“ sei nötig, so der Parlamentspräsident. Es sei „auf Dauer nicht haltbar“, dass einige wenige EU-Staaten die Lasten der Flüchtlingsbewegung tragen müssten. Solidarität sei ein Prinzip, das Geben und Nehmen vorsehe.
Martin Schulz kritisierte, dass sich die EU schriftlich auf die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen auf die Mitgliedsländer geeinigt hätte, tatsächlich aber nur 5.000 Flüchtlinge verteilt worden seien. Er plädierte für eine Reform des Dublin-Mechanismus. Darüber hinaus seien alle gut beraten, in der Flüchtlingspolitik ihren Ton zu mäßigen.
Schwierige Brexit-Verhandlungen
Das zweite große Problem der EU sieht Schulz im Austritt Großbritanniens, dem so genannten Brexit. Es sei wichtig, dass die EU-Staaten hier eine gemeinsame Linie entwickelten. Schulz räumte ein, er verstehe „heute etwas besser“, warum sich London noch Zeit lasse mit der Aktivierung des Austrittsprozesses. Wie extrem kompliziert die zu verhandelnden Fragen seien, sei zunächst gar nicht erkennbar gewesen. Dennoch, Großbritannien „sollte nicht zu lange warten“.
Der Parlamentspräsident wies darauf hin, dass das EU-Parlament von Anfang an voll in den Brexit-Prozess involviert sei, schließlich müsse ein entsprechendes Abkommen von den EU-Abgeordneten ratifiziert werden. Die Personenfreizügigkeit nannte er eine Voraussetzung für die Teilnahme Großbritanniens am EU-Binnenmarkt. Diese sei „nicht verhandelbar“.
Russland-Sanktionen: Moskau ist am Zug
Zur Frage der EU-Sanktionen gegen Russland erklärte Schulz, über deren Lockerung werde „nicht in Brüssel sondern in Moskau entschieden“. Ohne eine Umsetzung des Minsker Abkommens werde es keinen Raum für eine Lockerung geben. In deutlichen Worten kritisierte Schulz die „völkerrechtswidrige Annektion der Krim“ durch Moskau. Ebenso monierte er, dass Russland im Budapester Memorandum die territoriale Integrität der Ukraine garantiert habe, diese aber heute nicht mehr respektiere.
In der Frage einer Visaliberalisierung für die Türkei verwies Schulz auf die von der Türkei zugesagten Kriterien, von denen einige, aber wichtige, noch nicht umgesetzt seien. Dazu zählte er die Anti-Terror-Gesetze. Hier gebe es bisher „keine Bewegung“ Ankaras, wie er in seinen letzten Gesprächen mit dem Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten der Türkei festgestellt habe. Dennoch sei klar, ohne Reform dieser Gesetze werde es keine Visaliberalisierung geben.
Türkei steht zu Flüchtlingspakt mit EU
Schulz rechnet damit, dass die Türkei ihre Zusagen an die EU in der Flüchtlingspolitik einhalten wird, „auch wenn es die Visaliberalisierung nicht gibt“. Dass die Türkei Flüchtlingen mit akademischem Abschluss die Überfahrt in die EU verweigere sei „absolut inakzeptabel“.