So gefährlich ist das EU-Ukraine-Referendum der Niederlande
Herr Fleckenstein, was bedeutet das Nein der Niederländer im EU-Ukraine-Referendum?
Das Nein der Niederländer bedeutet zunächst einmal, dass sich das niederländische Parlament erneut mit der Ratifizierung des Assoziierungsabkommens beschäftigen muss. Es hatte sich im Sommer 2015 bereits für das Abkommen ausgesprochen, bevor die Regierung das Ratifizierungsverfahren wegen des angekündigten Referendums zunächst auf Eis legte.
Die Rechtspopulisten in ganz Europa bejubeln das Ergebnis als „Anfang vom Ende der EU“. Könnte es das wirklich werden?
Nein, natürlich nicht. Schließlich können zweieinhalb Millionen Niederländer in einem rechtlich nicht bindenden Referendum nicht einfach aushebeln, wofür sich 500 Millionen anderer EU-Bürger, repräsentiert durch ihre demokratisch gewählten Volksvertreter, ausgesprochen haben. Aber diese Reaktion zeigt unmissverständlich, worum es den Populisten eigentlich ging: Fundamentalopposition gegen das, was die demokratische Mehrheit repräsentiert. Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist von diesen Populisten also bloß vorgeschoben worden.
Wenige Monate vor dem Referendum in Großbritannien über einen EU-Austritt ist das sicherlich kein gutes Signal, welches aus den Niederlanden kommt. UKIP-Chef Nigel Farage reibt sich schon die Hände. Sehen Sie Auswirkungen auf das britische Referendum am 23. Juni?
Ich halte es nicht für sinnvoll, die Referenden in den Niederlanden und in Großbritannien miteinander zu vergleichen. Beim britischen Referendum geht es um den Verbleib des Landes in der Europäischen Union. Beim niederländischen Referendum ging es ja gerade nicht um diese Frage, auch wenn manch ein Populist dies so dargestellt hat. Auf diese Masche sollten wir nicht hereinfallen. Ich befürchte allerdings, dass das Ergebnis des Referendums den britischen Brexit-Befürwortern trotzdem Aufwind gibt.
Warum gehen EU-Referenden seit Jahren, beinahe egal in welchem Land und zu welchem Thema, reihenweise für Europa verloren?
Ich glaube, das hat viel mit einem unbestimmten Gefühl der Ohnmacht vor den zahlreichen Herausforderungen zu tun, mit denen unsere europäischen Staaten konfrontiert sind, darunter internationaler Terrorismus, die sozialen Auswirkungen der Globalisierung, Migration. Es ist schon paradox: Die Menschen sind enttäuscht, dass es nicht mehr einheitliches europäisches Handeln gibt. Und deshalb verfallen einige dem Irrglauben, dass man diesen Herausforderungen besser gerecht werden könnte, wenn man sich von seinen europäischen Nachbarn abschottet. Wir dürfen das nicht kleinreden, sondern müssen uns sehr ernsthaft mit dieser Wahrnehmung beschäftigen.
Schon lange fragt man sich in Brüssel: Was können wir tun, um das immer weiter sinkende Vertrauen in die EU zurückzugewinnen. Haben Sie eine Antwort?
Wir sollten aufhören, diese Frage in Brüssel zu stellen. Wir müssen sie stattdessen in den europäischen Hauptstädten stellen. Das Vertrauen in die Lösungskraft der Politik allgemein sinkt. Auf europäischer Ebene muss unsere Antwort hierauf sein, dass wir uns schneller auf gemeinsame Lösungen einigen. Das scheitert aber weitgehend, nicht an der Europäischen Kommission oder dem Europäischen Parlament, sondern dem Ministerrat mit seinen 28 mitgliedstaatlichen Regierungen, die lieber ihr eigenes Süppchen kochen, als zu europäischen Lösungen beizutragen. Wir brauchen eine bessere Abstimmung, mehr Solidarität und mehr Verbindlichkeit. Hier ist eben nicht nur "die EU" gefragt, sondern jeder politisch Verantwortliche, ob in Berlin, London, Den Haag oder Brüssel.
Eine Blockade der Annäherung der Ukraine an die EU wird vermutlich einen besonders freuen: Wladimir Putin. Stärkt das Referendum Putin in seinem Griff nach der Ukraine?
Putin ist für vieles verantwortlich, aber sicher nicht für den Ausgang des Referendums in den Niederlanden. Dennoch, klammheimliche Freude wird die russische Regierung schon verspürt haben. Doch das nützt ihnen nichts. Die Ukraine ist ein souveräner Staat und das Assoziierungsabkommen mit ihr wird in großen Teilen bereits seit Herbst 2014 provisorisch angewandt. Daran ändert auch das niederländische Referendum nichts