Skripal-Affäre: „Das russische Verhalten kommt uns bekannt vor“
Thomas Koehler/photothek.net
Nach dem Giftattentat auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter sind die Fronten verhärtet. Großbritannien macht Russland verantwortlich, das jede Verwicklung abstreitet. Wer steckt hinter dem Anschlag?
Es ist eindeutig, dass die Indizien in Richtung Russland zeigen. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine russische Verantwortung für diesen Angriff gibt. Allerdings ist es bislang nicht möglich gewesen, dafür Beweise vorzulegen. Wir befinden uns in einer Situation, in der bei jeder Gelegenheit gegenseitige Beschuldigungen erhoben werden. Damit kommen wir nicht weiter.
Wie muss es weitergehen?
Wir hoffen, dass die bereits eingeschaltete OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) in dieser Woche Auskunft über das angewandte Gift und dessen mögliche Herkunft gibt. Die entscheidende Frage ist, wie sich Russland und Großbritannien im Anschluss verhalten werden, denn nur mithilfe beider Kontrahenten können Beweise erbracht werden. Das ist die Stunde der Wahrheit.
Obwohl die Beweislage nicht eindeutig zu sein scheint, haben die USA und europäische Staaten als Reaktion russische Diplomaten ausgewiesen. War das verfrüht?
Offensichtlich hat Großbritannien Geheimdiensterkenntnisse weitergegeben und damit annähernd 30 Staaten überzeugt. Dazu kommt, dass es außer der russischen Verantwortung für diese Vorfälle keine alternative plausible Erklärung gibt. Die Staaten haben sich mit den Sanktionen solidarisch mit Großbritannien gezeigt, aber haben auch ihrer Unzufriedenheit über die mangelnde Bereitschaft Russlands auf Fragen zu antworten Ausdruck verliehen. Das war sicherlich eine Eskalation, die von der russischen Regierung beantwortet wurde.
Der Kreml hat die gleiche Zahl westlicher Diplomaten ausgewiesen.
Die Frage ist, ob die Eskalation wieder angehalten werden kann. Ich hoffe, dass dies möglich sein wird, über den Umweg über die OPCW. Wir können kein Interesse daran haben, dass sich die Eskalationsspirale weiterdreht. Deutschland betont immer wieder, wie wichtig der Dialog mit Russland ist, auch hinsichtlich der Lösung von internationalen Konflikten wie dem Ukraine-Konflikt und dem Syrienkrieg.
Auffällig ist, dass die russischen staatlich gelenkten Medien Theorien am Fließband verbreiten, mit denen der Giftanschlag erklärt wird – nach dem Motto: Nichts ist wahr, alles ist möglich. Solche Kampagnen gab es auch während des Ukraine-Kriegs und nach dem Abschuss des MH17-Flugzeugs. Wie bewerten Sie die russische Reaktion insgesamt?
Uns kommt dieses Verhalten bekannt vor. Mit den sich gegenseitig völlig ausschließenden Erklärungsmustern wird eine Atmosphäre geschaffen, in der sich keiner mehr sicher sein kann, woran er ist. Das ist verdächtig, nicht vertrauensbildend und viele Länder kennen dieses Verhalten Russlands bereits – zum Beispiel die russischen Erklärungen zur Krim-Annexion, zu möglichen Cyberangriffen, aber auch zum Schutz von Syriens Präsident Assad und der Deckung möglicher Giftgaseinsätze. Das hat dazu geführt, dass im Westen ein negatives Gesamtbild der russischen Politik entstanden ist, das eine Rolle bei der Bewertung spielt. Das macht eine Verantwortung Russlands im Skripal-Fall wahrscheinlich.
Die russische Außenpolitik diente in den vergangenen Jahren oft innenpolitischen Zwecken. Wie steht die russische Gesellschaft zu den aktuellen Ereignissen?
Der Skripal-Fall wird dort eingeordnet in ein Bild, das man sich selbst gezeichnet hat. Darin steht Russland gegen den Rest der Welt. Man fühlt sich vom Westen schlecht behandelt und verdächtigt. Für die russischen Eliten ist das wieder ein Fall, in dem Russland nicht geglaubt wird und in dem die russischen Argumente weniger wert sind als die britischen. In diesem Selbstverständnis ist Russland eher Opfer als Täter.