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Singapur gegen Corona: testen, testen, testen

Singapur erlebt derzeit die dritte Welle an Infektionen mit dem neuen Coronavirus. Der asiatische Staat geht rigoros gegen die Epidemie vor – und bestraft Verstöße hart. Das Land riegelt sich ab.
von Mirco Günther · 24. März 2020
Singapur setzt zur Bekämpfung des Corona-Virus vor allem auf massenhaftes Testen der Bevölkerung.
Singapur setzt zur Bekämpfung des Corona-Virus vor allem auf massenhaftes Testen der Bevölkerung.

„Goldstandard“, so beschrieb eine Studie der Harvard-Universität bereits in der Frühphase der Coronakrise den beispielhaften Ansatz Singapurs. Auch WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus zeigte sich beeindruckt vom Krisenmanagement des kleinen Stadtstaates. Die Zutaten des Singapurer Erfolgsrezeptes: rigoroses Testen, konsequentes Isolieren, detailliertes Clustern und Rekonstruieren von Kontakt- und Infektionsketten, moderne, schnelle und transparente Kommunikation und hartes Durchgreifen bei Regelverstößen.

Zwei Monate nach dem ersten bestätigten Coronafall in Singapur steht die Zahl zum heutigen Tag (Stand: 24. März) bei 509. Bislang gibt es zwei Tote zu beklagen. Mehr als 21 000 Personen befinden sich in Selbstisolation daheim und müssen regelmäßig per Foto oder der GPS-Funktion ihrer Telefone nachweisen, dass sie die Wohnung nicht verlassen. 152 Personen konnten das Krankenhaus bereits wieder verlassen.

Es gehört längst zum Alltag, die jüngsten Fallzahlen und Updates zu studieren, die über den Regierungsinformationsdienst Gov.sg per WhatsApp mehrmals täglich verschickt werden. Korrespondierende Diagramme zeigen die Infektionscluster, die es in Singapur aktuell gibt, wie sie miteinander verbunden sind und welche Fälle importiert wurden. Ein gigantisches Spinnennetz aus Datenpunkten, verständlich aufbereitet, an welchem sich der zeitliche Verlauf der Ausbreitung von Covid-19 vom ersten Fall bis heute nachvollziehen lässt.  

Dritte Infektionswelle in Singapur

Singapur erlebt aktuell die dritte und bisher schwerste Welle an Covid-19-Erkrankungen mit nun deutlich schneller wachsenden Fallzahlen. Im Mittelpunkt der ersten Fälle Ende Januar standen zunächst Personen aus Wuhan oder solche mit Reisen in die Provinz Hubei. Im Februar folgten lokale Infektionen und vermehrt Cluster ohne unmittelbaren China-Bezug. Den März dominieren jetzt importierte Fälle. Zahlreiche Rückkehrer aus Europa, Nordamerika und den ASEAN-Staaten werden positiv getestet. Vor allem in Singapurs Nachbarländern Malaysia und Indonesien, aber auch in Thailand und den Philippinen steigen die Zahlen derart sprunghaft an, dass sich die WHO dazu veranlasst sah, die Staaten Südostasiens zu „entschlossenem Handeln“ aufzurufen.

Die Reaktion der Singapurer Behörden? Schnell und bestimmt. Ein- und Durchreisen von Besuchern werden grundsätzlich verboten. Jeder Singapurer, der zurückkommt ins Land, muss sich in eine zweiwöchige Selbstisolation begeben. Ausländer mit Arbeitserlaubnissen dürfen nur noch zurückkehren, wenn sie in essentiellen Bereichen des Dienstleistungssektors wie Medizin und Logistik arbeiten. Singapurer sollen das Land nach Möglichkeit nicht verlassen. Gleichwohl bleiben Schulen, Einkaufsmeilen und Restaurants weiter geöffnet, wenn auch unter deutlich verschärften Richtlinien. Das öffentliche Leben kommt bisher nicht zum Erliegen. Eine Ausgangssperre gibt es noch nicht. 

Kernpunkte des Singapurer Modells

  1. Technisches Know-How: Eine neue App der Regierung namens „TraceTogether“ soll die Identifizierung enger Kontakte von infizierten Personen erleichtern. Mittels Bluetooth und zufallsgenerierter IDs werden Handys anderer Nutzer im Umkreis von zwei Metern gespeichert. So können Kontaktketten im Ernstfall schnell rekonstruiert werden. 
     
  2. Harte Strafen: Ausländer, welche die Heimquarantäneauflage verletzen oder ohne vorherige Genehmigung nach Singapur zurückkehren, können ihre Arbeitsgenehmigung verlieren. Ebenso strafbar sind bewusst falsche Angaben über Gesundheit, Reisen und Personenkontakte.
     
  3. Gesamtgesellschaftliche Akzeptanz und die Unterstützung der Bevölkerung für die ergriffenen Maßnahmen. Ein umfassender „Whole-of-Society-Approach“ unter der Kampagne #SGunited, dem dazugehören Song „The Light“ und einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Regierung, Arbeitgebern, Gewerkschaften und Personen des öffentlichen Lebens.  

Eine historisch gewachsene Verwaltungs- und Organisationskultur, innovative Unternehmen und Exzellenz in der Forschung zählen zu den vielen Gemeinsamkeiten Deutschlands und Singapurs. Gleichwohl sind die Rahmenbedingungen andere, ob in der Güterabwägung zwischen individuellen Freiheiten und staatlichen Durchgriffsrechten oder auch in der Kultur des kollektiven Miteinanders. Die teilweise drastischen Strafen für Regelverletzungen würden in Deutschland wohl nur schwer auf breite Zustimmung stoßen. 

Testen, testen, testen

Eine jüngst veröffentliche Studie des Imperial College in London fasst den Hauptunterschied in den Ansätzen wie folgt zusammen: Während Europa sich auf Minderung (Mitigation) konzentriert, ist der Ansatz in Asien Unterdrückung (Suppression) – definiert als das konsequente Testen von so vielen Fällen wie möglich, auch Personen ohne Symptome und jenseits der Risikogruppen. Die wichtigste Formel der Rezepte in jenen asiatischen Ländern, die im Umgang mit Covid-19 erfolgreich sind, heißt: Testen, testen, testen! 

Singapur hat aus der SARS-Krise 2003 und dem Ausbruch von H1N1 2009 viel gelernt. Trotz nachweislicher Erfolge und breitem internationalen Lob bleibt aber auch für Singapur der Ausgang der Coronakrise ungewiss. Und so bereitete Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong seine Bevölkerung in einer TV-Ansprache auch jüngst auf einen langen Kampf von einem Jahr oder länger vor.

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal am 24. März.

Autor*in
Mirco Günther

ist Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Asien mit Sitz in Singapur. Er war zuvor Büroleiter in Afghanistan und hat Politikwissenschaft u.a. an der Harvard Universität und St. Andrews studiert.

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