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Sieg für Tsipras: Was das Wahlergebnis für Griechenland bedeutet

Trotz Referendum und politischem Kurswechsel haben die Griechen Syriza-Chef Alexis Tsipras am Sonntag erneut einen Regierungsauftrag erteilt. Doch das Land ist weit entfernt von Euphorie.
von Florian Schmitz · 21. September 2015

Es war der unspektakulärste Wahltag seit Jahren. Während die Stimmung bei den Wahlen im Januar und beim Referendum im Juli von Optimismus und Wandelwillen nur so strotzte, war der gestrige Tag von beklemmender Ruhe und Gleichmut geprägt. Nach Wahlparty war den meisten wahrlich nicht zumute. Denn obwohl viele wohl erleichtert sind, die konservative Nea Dimokratia nicht wieder in der Verantwortung zu sehen, glaubt niemand daran, dass das Wahlergebnis eine wirkliche Bedeutung hat.

Wahlbeteiligung im Keller

Diese Stimmung wird auch bezüglich der Wahlbeteiligung deutlich. Zwar fuhr die Syriza mit 35,47 Prozent ein deutliches Ergebnis ein. Im Vergleich zur Wahl im Januar hat sich die Zahl der Wähler, die einen leeren Stimmzettel in die Urne warfen, aber mehr als verdoppelt. In Griechenland kommen diese Enthaltungen im Endeffekt dem Gewinner zugute, gelten aber als Protest. Die Hoffnung darauf, dass eine Partei im Land das Ruder herumreißt, hat sich bei den meisten in Luft aufgelöst.

„Ich habe einen weißen Wahlzettel abgegeben. Ich vertraue keiner Partei“, sagt ein Kioskbesitzer in Thessaloniki und spricht damit dem Gros der Griechen aus der Seele. Jedem ist bewusst, dass der Handlungsspielraum der neuen Regierung sehr begrenzt sein wird. „Egal wer jetzt regiert, das Memorandum muss durchgesetzt werden“, erklärt eine Mitte dreißigjährige Produzentin, die als Tochter von griechischen Eltern in Mülheim an der Ruhr aufgewachsen ist.

Hauptsache nicht wieder Nea Dimokratia

Und obwohl die Nea Dimokratia (28,09 Prozent) und auch die stark kränkelnde sozialdemokratische Pasok (6,3 Prozent) ihre Ergebnisse leicht verbessern konnten, wollten die Griechen sie wohl nicht wieder in der Regierung sehen. „Ich wollte gar nicht wählen gehen, habe dann aber doch für Syriza gestimmt. Sieben Monate im Amt waren einfach nicht genug und ein Verlust wäre ein schlimmes Signal an andere linke Parteien in Europa“, sagt eine Unternehmerin.

Ähnlich sieht das eine Englischlehrerin, die eigentlich vorhatte, eine Partei am linken Rand zu wählen. „Ich habe im Endeffekt Tsipras meine Stimme gegeben, weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, wieder einen Ministerpräsidenten von der Nea Dimokratia in Athen zu sehen“, erklärt sie nach der Wahl. Denn auch wenn niemand glaubt, dass sich für die Griechen in absehbarer Zeit etwas ändern wird, verstehen viele die Partei des Ex-Ministerpräsidenten Samaras als Inbegriff des alten Griechenlands, das für die derzeitige Situation die Hauptverantwortung trägt.

Regierungsauftrag vs. Fremdbestimmung

Tsipras hat bereits angekündigt, die Koalition mit der rechtspopulistischen Anel weiterzuführen, hält aber zusätzlich auch der liberalen Potami-Partei offen, dem Bündnis beizutreten. Und während der Syriza-Parteichef den Griechen bis zum Sommer-Referendum einen neuen Weg in Aussicht stellte, und dabei auch die Konflikte mit den Geldgebern nicht scheute, setzt er jetzt auf Stabilität. Es ginge darum, das Vertrauen der Geldgeber zurückzugewinnen, erklärt er, wesentlich nüchterner als nach seinem ersten Wahlsieg.

Für die Griechen liegt damit jede Hoffnung in Asche, das Land bald auf einem besseren Weg zu sehen. „Wir werden ohnehin aus Berlin und Brüssel regiert“, merkt ein Taxifahrer an. Nichtsdestotrotz gleicht es einem Wunder, dass Tsipras nach den Geschehnissen der letzten Monate wiedergewählt wurde. Doch das Vertrauen der Griechen hat er nicht. Vielmehr hätte ein Verlust der Syriza als Regierungspartei für die meisten bedeutet, das Einzige zu verlieren, das sich in Griechenland seit Krisenausbruch verändert hat.

Im Endeffekt sehen die meisten den neuen alten Regierungschef als eine Art Brüsseler Projektmanager, dessen Aufgaben bereits feststehen und dessen Handlungsrahmen von Technokraten extrem eingeschränkt wird. Auch deswegen konnte sich die faschistische Goldene Morgenröte mit 7 Prozent wieder als drittstärkste Kraft behaupten. Spricht man heute auf den Straßen Hellas von Demokratie, erntet man zumeist nicht mehr als ein müdes Lächeln.

Autor*in
Florian Schmitz

Florian Schmitz ist freier Autor und lebt in Thessaloniki. Auf seinem Blog eudyssee.net berichtet er über die positiven und negativen Auswirkungen der Krise.

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