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Sicheres Afghanistan? Harsche Kritik an Abschiebungs-Plänen

Nach Syrern stellen Afghanen die zweitgrößte Gruppe von Flüchtlingen in Deutschland. Mehr als 12.000 von ihnen sollen demnächst abgeschoben werden. Beobachter kritisieren den Plan als „zynisch“ und vermuten „Symbolpolitik“.
von Robert Kiesel · 8. Dezember 2016
vorwärts, Zeitung, SPD, Sozialdemokratie
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Geht es noch deutlicher? „Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt. Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Der Aufenthalt in weiten Teilen des Landes bleibt gefährlich. In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden.“ Während das Auswärtige Amt deutschen Staatsbürgern per Reisewarnung von Flügen nach Afghanistan abrät, plant die Bundesregierung Sammelabschiebungen an den Hindukusch. Mehr als 12.000 aktuell in Deutschland lebende Afghanen könnten betroffen sein, erste Flüge sollen noch vor Weihnachten stattfinden.

„Sicherheit in Afghanistan ist Fiktion“

Nachdem „Pro Asyl“-Geschäftsführer Günter Burkhardt im Anschluss an die Ankündigung sogenannter Sammelabschiebungen gemahnt hatte „Afghanistan ist nicht sicher. Wer abschiebt, gefährdet Menschenleben“, legten Vertreter afghanischer Kulturvereine am Donnerstag nach. „Es gibt überhaupt keine sicheren Gebiete in Afghanistan, die Sicherheit in Afghanistan ist Fiktion“, so Sabour Zamani, Leiter des Afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrums in Berlin. Statt der Sicherheit wachse die Gewalt in dem Bürgerkriegsland. Der Konflikt zwischen bewaffneten Fundamentalisten, Regierungstruppen und ausländischen Einheiten eskaliere immer weiter. „Die Regierung kann nicht für Sicherheit sorgen, stattdessen werden die Taliban und ISIS immer stärker“, so Zamani.

Tatsächlich sprechen Beobachter vom „höchsten Konfliktniveau seit 2001“, dem Beginn der militärischen Intervention in Afghanistan. Im Land herrsche eine humanitäre Notlage, deren Ausmaß niemand abschätzen könne. Allein die Planung von Sammelabschiebungen sei vor diesem Hintergrund „zynisch“, so Augenzeugen der Lage vor Ort.

Zahl verletzter Zivilisten verdoppelt

Daten der wenigen noch in Afghanistan vertretenen Hilfsorganisationen belegen den Anstieg der Gewalt vor Ort, gerade gegen Zivilisten. In ihrem neuesten Bericht gibt die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) die Zahl der zwischen Januar und September 2016 getöteten Zivilisten im Land mit 2562 an, 5835 Zivilisten wurden verletzt. Zum Vergleich: In den ersten drei Quartalen des Jahres 2009 zählte UNAWA 1918 getötete und 2814 verletzte Zivilisten.

Vertreter der von Flüchtlingsräten in Deutschland führen die Zahlen an, um eine Abkehr von geplanten Sammelabschiebungen zu fordern. In Mecklenburg-Vorpommern wandte sich der Flüchtlingsrat direkt an Innenminister Lorenz Caffier, um eine Aussetzung der Abschiebepläne zu erwirken.

Abschreckung statt Abschiebung?

Für Verärgerung innerhalb der afghanischen Community sorgt die durch einen Bericht von „Zeit-Online“ öffentlich gewordene Einschätzung der Bundesregierung, die Sicherheitslage in zahlreichen Regionen Afghanistans nicht einschätzen zu können. „Das Auswärtige Amt weiß sehr genau, wie die Lage in Afghanistan ist. Dass sie es nicht wissen, ist eine komplette Lüge“, so Zamani. Informationen über die Lage vor Ort gebe es genug, man müsse sie nur wahrnehmen wollen. Zamani und andere sind sicher: Die Pläne für Sammelabschiebungen nach Afghanistan dienten einzig und allein der „Panikmache“ und seien reine „Symbolpolitik“. Das eigentliche Ziel der angekündigte Maßnahme sei „Abschreckung“. Diese werde aber erst dann eintreten, wenn die Fluchtgründe vor Ort beseitigt sind. Danach sehe es derzeit jedoch nicht aus, im Gegenteil.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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