Selenskyj im Bundestag: „Helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen!“
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Als das Bild des ukrainischen Präsidenten auf den Bildschirmen im Sitzungssaal des Bundestages erscheint und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wolodymyr Selenskyj begrüßt, erheben sich die Abgeordneten von ihren Plätzen und applaudieren. Es ist eine besondere Situation an diesem Donnerstagmorgen. Die Übertragung der Rede Selenskyjs vor den deutschen Abgeordneten verzögert sich zunächst um ein paar Minuten, weil es Bombeneinschläge in der Nähe seines Aufenthaltsortes gegeben haben soll.
Doch dann wendet sich der ukrainische Präsident nicht nur an die Abgeordneten, sondern auch an das „sehr verehrte deutsche Volk“. Drei Wochen tobe nun bereits der Krieg in seinem Land, nachdem der russische Staatspräsident Wladimir Putin am 24. Februar seine Truppen in Bewegung gesetzt hat. Tausende Ukrainer*innen seien bereits gestorben, darunter 108 Kinder, sagt Selenskyj. Eindrücklich schildert er die Situation im belagerten Mariupol, wo Tausende ohne Wasser und Strom ausharrten, immer wieder beschossen von russischen Einheiten. „Die russischen Truppen unterscheiden nicht zwischen Soldaten und Zivilisten“, berichtet der ukrainische Präsident.
„Herr Scholz, reißen Sie diese Mauer ein.“
Dann wendet er sich an die Abgeordneten. „Wir haben immer gesagt, Nordstream II ist eine Waffe“, sagt Selenskyj. Die deutsche Regierung habe das aber nicht wahrhaben wollen. „Die Wirtschaft war Ihnen wichtiger“, kritisiert Selenskyj. Das Gleiche gelte für die vertröstende Haltung gegenüber einem Beitritt der Ukraine zur NATO. „Und jetzt zögern Sie wieder“, sagt Selenskyj mit Blick auf den Wunsch seines Landes, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Dabei verteidigten die ukrainischen Soldat*innen „auch Europas Werte“ gegen Putins Armee.
„Sie befinden sich wieder hinter der Mauer“, zieht Wolodymyr Selenskyj einen Vergleich zur Zeit der Kalten Kriegs. An Bundeskanzler Olaf Scholz appelliert der ukrainische Präsident mit den Worten des früheren US-Präsidenten Ronald Reagen: „Herr Scholz, reißen Sie diese Mauer ein.“ Selenskyj macht klar: „Ohne eure Hilfe können wir die Ukraine und Europa nicht verteidigen“ und appelliert an die Abgeordneten: „Helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen!“
Aktuelle Stunde zur Lage in der Ukraine
Da es traditionell nicht üblich ist, nach der Rede eines ausländischen Staats- oder Regierungschefs im Bundestag darüber zu debattieren, fand die Aktuelle Stunde „Lage in der Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands und die Auswirkungen auf Deutschland und Europa“ bereits einen Tag zuvor am Mittwoch statt.
Darin betonten die Redner*innen der SPD die starke Unterstützung Deutschlands für die Ukraine. Bundesinnenministerin Nancy Faeser erläuterte, wie die Bundesrepublik „die Ukraine und die Nachbarstaaten mit Hilfstransporten, mit Medizin, Impfstoffen, Feldbetten, Winterschlafsäcken“ unterstützt. Darüber hinaus sei es innerhalb weniger Tage in der EU gelungen, „einen historischen Schulterschluss“ zu erreichen. „Alle EU-Staaten nehmen gemeinsam, schnell und unbürokratisch Geflüchtete auf. Das ist wirklich eine großartige Leistung“, so Innenministerin Faeser. „Wir retten damit Menschenleben – unabhängig vom Pass.“
Michael Roth: Die Ukraine stärker unterstützen
Svenja Schulze, die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zeigte sich beeindruckt von der großen Solidarität in Deutschland mit der Ukraine. „Ich bin froh, dass Nancy Faeser Innenministerin ist“, sagte Schulze, „dass wir gemeinsam diese Herausforderung bewältigen“. Um den Menschen vor Ort und an der Grenze zu helfen, seien vom Entwicklungs- und Außenministerium sofort 90 Millionen Euro mobilisiert worden. „Wir sind vor Ort, wir sind schnell bei den Menschen. Wir helfen beim Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr, bei Hilfsmaßnahmen für Menschen auf der Flucht.“ Die Ministerin rief zugleich dazu auf, den Blick über die Grenzen der EU hinaus zu richten. Besonders die Ärmsten der Welt seien in Gefahr, wenn Energie- und Lebensmittelpreise weiter stiegen. Auch ihnen müsse jetzt geholfen werden.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth plädierte leidenschaftlich für noch mehr Unterstützung der Ukraine durch den Westen. Das schließe auch Waffen ein. „Waffen, damit sich dieses Land, das von einem brutalen Aggressor angegriffen wurde, selbst verteidigen kann.“ Roth appellierte an seine Kolleg*innen im Bundestag: „Wir müssen überlegen, wie wir diese Ukraine, die um ihr Überleben kämpft, noch weiter und besser unterstützen können.“ Denn der SPD-Außenexperte ist überzeugt: „Nur eine wehrhafte Ukraine kann Putin überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen über einen Waffenstillstand bewegen. Putin will die ganze Ukraine. Und nur aus einer Position der Stärke heraus hat die Ukraine eine Chance zu überleben.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.