„Science March“: Wie Forscher gegen „alternative Fakten“ kämpfen
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Hörsaal, Bibliothek, Labor – das sind eigentlich die Orte, an denen sich Wissenschaftler am wohlsten fühlen. Dort gehen sie ihrer Arbeit nach, stellen Untersuchungen an, führen Experimente durch. Am kommenden Wochenende allerdings werden viele Professoren, Dozenten und Studierende ihr gewohntes Umfeld verlassen – und zu Tausenden auf die Straße gehen. Der Grund: Am Samstag findet der internationale „March for Science“ statt, mit dem Akademiker auf der ganzen Welt die Wissenschaft verteidigen wollen – gegen „alternative Fakten“ und „fake news“.
Spaltung der Wissenschaftswelt
Dass die Wissenschaftswelt längst zu einer politischen Kampfzone geworden ist, zeigt ein aktueller Fall aus Deutschland: die „Erklärung 2018“, mit der rechte Autoren und Publizisten geschlossene Nationalgrenzen fordern. In der Liste der Unterzeichner findet sich auch Wilhelm Hopf, der Gründer und Leiter des renommierten Wissenschaftsverlags LIT. Als Reaktion haben nun Dutzende Forscher eine Gegenerklärung verfasst. Darin fordern sie eine „klare Absage an Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus“. Mit dem LIT-Verlag wollen sie nicht mehr zusammenarbeiten – aus politischen Gründen. Die Lektoren des Verlags gaben ebenfalls eine Stellungnahme heraus, in der sie sich von der „Erklärung 2018“ distanzierten und die Reaktion der Wissenschaftler als nachvollziehbar bezeichneten. Verlagsschef Hopf hat inzwischen seine Unterschrift zurückgezogen, will die „Erklärung 2018“ nicht weiter gutheißen – die ganze Sache sei ein Fehler gewesen, ließ er wissen.
Auch wenn der LIT-Verlag frei von jedem Verdacht ist, irgendetwas mit „alternativen Fakten“ oder „fake news“ zu tun zu haben, zeigt das Beispiel, dass die politische Spaltung der Gesellschaft auch in der sonst oft abgeschiedenen Wissenschaftswelt angekommen ist. Immer mehr Forscher fühlen sich offenbar zu einer klaren Position gezwungen – wie gegen die „Erklärung 2018“ im Fall des LIT-Verlags. In so einem gesellschaftlichen Klima müssen Forscher aber inzwischen auch oft für den Stellenwert der eigenen Arbeit, gegen falsche Tatsachen und erfundene Wahrheiten kämpfen. Dafür dient auch der „Science March“, der im April 2017 in den USA ins Leben gerufen wurde. Damals demonstrierten Tausende in Washington gegen die Weltsicht ihres Präsidenten Donald Trump. Ist der doch ein Paradebeispiel für die Ablehnung von Fakten. Er ist sogar stolz darauf, seine Politik jenseits jeder Logik zu betreiben. Er hält den Klimawandel für eine Lüge und glaubt, Schutzimpfungen lösten bei Kindern Autismus aus.
AfD-Chefin Weidel: „Klimahysterie“
„In Amerika war der Auslöser für den ‚March of Science‘ sicherlich Trump“, sagt heute die Medizinerin Natalie Grams. „In Deutschland ist das nicht ganz so politisch motiviert.“ Hierzulande gehe es beim Marsch der Wissenschaftler mehr um den Austausch zwischen Forschern und interessierten Bürgern. „Wir wollen der Gesellschaft klarmachen, wie die Forschung zu Wissen kommt. Das heißt nicht, dass sich Wissenschaftler irgendwo in einem Labor einschließen und eine absurde Meinung pflegen“, sagt Grams. Die Ärztin ist eine prominente Homoöpathie-Kritikerin und will in diesem Jahr mitdemonstrieren. „Gerade in Zeiten von Populismus und ‚fake news‘ gilt: Wissenschaft geht uns alle an“, sagt sie.
In der Tat scheinen mit dem Erstarken des Rechtspopulismus auch in Deutschland faktenfreie Politik-Entwürfe zugenommen zu haben. So gibt es etwa in der AfD prominente Politiker, die – wie Trump – den Klimawandel für eine Lüge halten. Partei-Vize Georg Padzerski sieht keine Anzeichen dafür, „dass tatsächlich die Klimaerwärmung menschengemacht ist“. Die Chefin der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, spricht sogar von „Klimahsysterie“, hält die Debatte für „an den Haaren herbeigezogen.“
Meinungen sind keine Fakten
Gegen solche Thesen richtet sich am Wochenende nun der „Science March“. Die Medizinerin Grams machen die abstrusen Ansichten in Politik und Internet teilweise ratlos: „Bei der verbreiteten Impfskepsis oder den Klimaskeptikern muss man sich schon fragen: Wie konnte es nur so weit kommen?“ Aber nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Politik hält die Ärztin Grams „alternative Fakten“ für gefährlich. „Die Politik muss klar machen, dass Fakten und Meinung nicht gleichwertig sind“, fordert sie. „Politische Entscheidungen müssen auf der Grundlage von Fakten getroffen werden. Die Wissenschaft kann dabei helfen.“
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby sieht das genauso. Er kennt beide Seiten – Politik und Wissenschaft. Der Sozialdemokrat aus Halle ist studierter Chemiker, hat Schadstoffbelastung in Kleingartenanlagen erforscht und über das Thema seine Doktorarbeit geschrieben. Jetzt ist er Mitglied im Wissenschaftsausschuss des Bundestags. „Fakten müssen die Grundlage unseres Handelns sein, nicht Falschmeldungen“, fordert er – denn nur echte Fakten seien belastbare Tatsachen. „Falschmeldungen sind wie marode Hängebrücken. Wenn man einmal ein Fuß draufsetzt, fallen sie in sich zusammen.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.