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Schwierige Regierungsbildung: „Europa braucht dringend Antworten“

Nach dem Aus für eine Jamaika-Koalition steht Deutschland eine schwierige Regierungsbildung bevor. Dabei stehen in der EU wichtige Entscheidungen an. „Es darf nicht sein, dass die Bundesregierung passiv bleibt und sich nicht zu Wort meldet“, mahnt Europapolitiker Udo Bullmann.
von Kai Doering · 24. November 2017
Reichstagsgebäude in Berlin: Während sich im Bundestag nur schwierig Mehrheit für eine neue Bundesregierung finden, stehen in Europa wichtige Entscheidungen an.
Reichstagsgebäude in Berlin: Während sich im Bundestag nur schwierig Mehrheit für eine neue Bundesregierung finden, stehen in Europa wichtige Entscheidungen an.

Wie ist das Aus für Jamaika in Europa aufgenommen worden?

Im Europaparlament herrscht nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen schon eine gewisse Nervosität, weil niemand weiß, was jetzt kommt. Insbesondere die FDP wird hier kritisch beäugt, weil sie weder vor der Wahl noch während der Sondierungen zu erkennen gegeben hat, dass sie irgendeinen konstruktiven Beitrag zur Entwicklung Europas leisten will. Das Europäische Parlament würde sich – übrigens weit über die sozialdemokratische Fraktion hinaus – freuen, wenn die SPD die Bundesregierung führen würde. Den deutschen Sozialdemokraten wird am ehesten zugetraut, eine klare Handschrift für ein faires Europa zu haben.

Es gibt also eine gewisse Erleichterung in Europa, dass es nicht zu einer Regierung kommen wird, an der sowohl CDU/CSU als auch die FDP beteiligt sind?

So weit würde ich nicht gehen, aber viele Europäer sehen in Deutschland, insbesondere in Angela Merkel und ihrem ehemaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble, einen Hegemon, der zwar wirtschaftlich und politisch stark ist, sich aber auch auf dieser Stärke ausruht, statt einen Beitrag zur Lösung der bestehenden Probleme zu leisten – stattdessen aber immer sicher ist, was die anderen alles nicht dürfen. Im Moment wissen die Europäer nicht, was sie von Deutschland halten sollen.

In den kommenden Monaten stehen in der EU konkrete Reformvorhaben an. Was bedeutet es für deren Umsetzung, dass Deutschland zurzeit nur eine geschäftsführende Bundesregierung hat?

Europa braucht dringend Antworten von der Bundesregierung. Auf der Tagesordnung steht eine Menge zentraler Themen, die wir dringend bearbeiten müssen, etwa die mögliche Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion für die es am 6. Dezember einen Vorschlag der EU-Kommission geben wird. Auch Entscheidungen für die Zukunft der sogenannten sozialen Säule der EU stehen an. Dazu gab es gerade einen Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Göteborg, bei dem sich die Mitgliedsstaaten zu konkreten Schritten hin zu einem sozialeren Europa verpflichtet haben. An dem hat Angela Merkel gar nicht erst teilgenommen. Die Frage nach einer humanen und fairer europäischen Flüchtlingspolitik ist nach wie vor nicht geklärt und auch die Situation auf den ungesicherten Arbeitsmärkten muss dringend verbessert werden. Für all das braucht es die Beteiligung Berlins. Deshalb blicken die Europäer zurzeit gespannt nach Deutschland. Es darf nicht sein, dass die Bundesregierung passiv bleibt und sich nicht zu Wort meldet.

Dafür braucht es nicht unbedingt eine neue Regierung. Die alte ist ja weiter geschäftsführend im Amt.

Das ist richtig, aber insbesondere CDU und CSU haben in vielen der genannten Fragen keine klare Position. Entscheidungen werden deshalb verschleppt. Gleichzeitig wird verhindert, dass gute Konzepte der Sozialdemokraten durchgesetzt werden. Insofern ist Positionsklärung in Berlin dringend angesagt.

Gesetzt den Fall, die Regierungsbildung zieht sich noch länger hin: Droht Deutschland vom Motor der EU zum Bremser zu werden?

Ich weiß gar nicht, ob und wann Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mal Motoren Europas gewesen sind. Innerhalb der schwarz-gelben Regierung zwischen 2009 und 2013 waren sie es ganz sicher nicht, in der letzten dank des Drucks der sozialdemokratischen Minister sicher ein wenig mehr. Dabei wartet Europa darauf, dass Deutschland eine stärkere Rolle spielt und zu einem Motor wird. Im Moment kann die Bundesregierung aber nicht mit dem mithalten, was ein Emmanuel Macron für Europa anzubieten hat. Im Gegensatz zum französische Präsidenten, der erst wenige Monate im Amt ist, hat die deutsche Bundeskanzlerin in den zwölf Jahren ihrer Amtszeit noch nicht eine große europäische Grundsatzrede gehalten.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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