Schulterschluss mit Erdogan: So schadet Merkel der Pressefreiheit
Seit Wochen gerät die Pressefreiheit in der Türkei immer mehr unter Druck. Mittlerweile versucht Präsident Recep Tayyip Erdogan sogar Einfluss auf deutsche Medien zu nehmen. Nun hat Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals öffentlich Stellung genommen: aber nicht für die Pressefreiheit, sondern für Präsident Erdogan.
Merkel zur Pressefreiheit: Ja zur Satire-Löschung
Anlass für Merkels Stellungnahme: das Spottgedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann. Merkel kritisierte das Gedicht als „bewusst verletzend“. Die Kanzlerin begrüßte ausdrücklich seine Löschung durch das ZDF.
Ihr Zeichen der Solidarität mit dem „verletzten“ Erdogan war Merkel so wichtig, dass sie in dieser Angelegenheit sogar mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu telefonierte. Und über den Inhalt des Telefonates ließ sie den Regierungssprecher die Presse informieren. Der erklärte, die deutsche und die türkische Regierung seien sich einig, dass es sich bei dem Text des ZDF-Satirikers um einen „bewusst verletzenden Text handelt“. Die Meinungs- und Pressefreiheit sei schließlich nicht schrankenlos, so der deutsche Regierungssprecher.
Das dröhende Schweigen Merkels zu Erdogan
Im Gegensatz zu diesem klaren öffentlichen Statement steht das Schweigen der Kanzlerin zur immer massiveren Verletzung der Pressefreiheit in der Türkei: Kein Wort von Merkel zur staatlichen Zwangsverwaltung der regierungskritischen Zeitung „Zaman“. Kein Wort von Merkel zum Spionage-Prozess gegen führende Journalisten der Zeitung „Cumhuriyet“. Kein Wort von Merkel zur Verhaftung dutzender türkischer Journalisten. Kein Wort von Merkel zur Verweigerung der Akkreditierung für Türkei-Korrespondenten führender deutscher Medien nach Erdogan-kritischer Berichterstattung.
Auch die Angriffe Erdogans auf die deutsche Presse beantwortet die Kanzlerin nur mit Schweigen: Kein Wort von Merkel zur wiederholten Einbestellung des deutschen Botschafters in das türkische Außenministerium wegen Kritik an Erdogan in deutschen Medien. Kein Wort von Merkel zur öffentlichen Forderung Ankaras an die Bundesregierung, das Satire-Video des NDR-Magazins „Extra 3“ über Erdogans Umgang mit der Pressefreiheit zu entfernen.
Kritik an Erdogan: nicht von der Kanzlerin
Erst nach wachsender öffentlicher Kritik in der Bundesrepublik äußerte sich die Bundesregierung zu den Versuchen Erdogans, die Pressefreiheit sogar in Deutschland zu reglementieren: auf Botschafter- und Staatssekretärsebene. Größer könnte der Unterschied nicht sein zur öffentlichkeitswirksamen Solidaritätsadresse der Kanzlerin an den türkischen Präsidenten im Fall Böhmermann. Mit dieser Positionierung schadet Merkel der Pressefreiheit doppelt: in Deutschland und in der Türkei.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat gezeigt, wie man sich als Demokrat klar und deutlich positioniert. Er nannte Erdogans Verhalten im Umgang mit der Presse „absolut unhaltbar“ und „ein starkes Stück“. Seine Mahnung: „Wir dürfen zu Grundrechtsverletzungen in der Türkei nicht schweigen, nur weil wir in der Flüchtlingsfrage zusammenarbeiten.“ Man kann nur hoffen, dass seine Mahnung auch im Kanzleramt gehört wird.