Scholz-Rede in Prag: Wie sich die EU in der „Zeitenwende“ ändern muss
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Bundeskanzler Olaf Scholz plädiert angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine für einschneidende Reformen der EU. In seiner europapolitischen Grundsatzrede in der Prager Universität stellte er dazu seine Vorstellungen vor, die seinen Ausdruck der „Zeitenwende“ weiter mit Leben füllen. Die Bedrohung durch Putins Russland stand dabei im Mittelpunkt.
Gleich zu Beginn spricht der Kanzler in Prag von einer „Trennlinie“ zwischen dem „freien Europa“ und der „neo-imperialen Autokratie“ Russlands. „Putins Russland will mit Gewalt neue Grenzen ziehen“, so Scholz – „etwas, das wir in Europa nie wieder erleben wollten“. Der brutale Überfall auf die Ukraine sei deshalb auch ein Angriff auf die europäische Sicherheitsordnung. „Dem stellen wir uns mit aller Entschlossenheit entgegen.“ Dafür nötig sei aber eigene Stärke der EU.
Scholz: „Das ist die neue Friedensaufgabe Europas“
So müsse die Europäische Union müsse befähigt werden, ihre Sicherheit, Unabhängigkeit und Stabilität gegen äußere Einflüsse zu verteidigen. „Das ist die neue Friedensaufgabe Europas“, betont Scholz. Deshalb seien „europäische Antworten auf die Zeitenwende“ nötig.
Die erste davon lautet für den Kanzler: „Wir nehmen Russlands Angriff auf den Frieden in Europa nicht hin! Wir sehen nicht einfach zu, wie Frauen, Männer und Kinder umgebracht, wie freie Länder von der Landkarte getilgt werden und hinter Mauern oder eisernen Vorhängen verschwinden.“ Dafür sei eine klare „gelebte Absage an Imperialismus und Autokratie“ durch die EU nötig.
Putin ist gegen das vereinte Europa
Für Scholz ist klar: „Putin ist genau dieses vereinte Europa ein Dorn im Auge. Weil es nicht in seine Weltsicht passt, in der sich kleinere Länder einer Handvoll europäischer Großmächte zu fügen haben.“ Umso wichtiger sei es daher, „dass wir unsere Idee von Europa gemeinsam verteidigen“.
Dazu gehöre die umfassende Unterstützung der angegriffenen Ukraine: „wirtschaftlich, finanziell, politisch, humanitär und auch militärisch – hier hat Deutschland in den letzten Monaten grundlegend umgesteuert.“ Berlin werde diese Unterstützung aufrechterhalten, so lange das nötig sei.
Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin
Das gelte auch für den Wiederaufbau der Ukraine. „Darum wird es bei einer Expertenkonferenz gehen, zu der Kommissionspräsidentin von der Leyen und ich die Ukraine und ihre Partner aus aller Welt am 25. Oktober nach Berlin einladen“, so Scholz.
Der Kanzler kündigt für die nächsten Wochen und Monate „neue, hochmoderne Waffen“ für die Ukraine an. Das Ziel seien „moderne ukrainische Streitkräfte, die ihr Land dauerhaft verteidigen können.“ Dazu kann sich Scholz auch vorstellen, „dass Deutschland besondere Verantwortung beim Aufbau der ukrainischen Artillerie und Luftverteidigung übernimmt.“
Scholz für EU-Erweiterung nach Osten
Der Bundeskanzler macht sich in Prag nachdrücklich für eine Ost-Erweiterung der EU stark. „Ich setze mich ein für die Erweiterung der Europäischen Union – um die Staaten des Westbalkans. Um die Ukraine. Um Moldau und perspektivisch auch um Georgien.“ Dafür müsse sich aber auch die EU fit machen durch institutionelle Reformen.
Konkret plädiert Scholz hier für einen regelmäßigen Rat der EU-Verteidigungsminister*innen und einen schrittweisen Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in der EU. Abhängigkeiten von nichteuropäischen Lieferanten im Rohstoffbereich müssten „schnellstmöglich“ beendet werden. Auch müssten Fähigkeiten und Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik deutlich verbessert werden. Scholz plädiert für ein „gemeinsam aufgebautes Luftverteidigungssystem in Europa“ und eine ständige EU-Kommandozentrale für militärische Auslandseinsätze.
Neue Einigkeit bei Migration und Finanzen
„Putins Russland definiert sich auf absehbare Zeit in Gegnerschaft zur Europäischen Union. Jede Uneinigkeit zwischen uns, jede Schwäche wird Putin ausnutzen“, warnt der Kanzler. Andere Autokraten würden das nachahmen, auch China. Deshalb müsse die EU nun die Reihen schließen und alte Konflikte überwinden. Das gelte etwa für die Migrations- und Finanzpolitik, die in den vergangenen Jahren oft die Spannungen geführt hätten. „Zeitenwende, das muss für die europäische Politik heißen: Brücken zu bauen, statt Gräben aufzureißen“, betont der Kanzler.
Schließlich richtet er von Prag aus noch eine klare Ansage an die Regierungen in Warschau und Budapest: Es mache ihm „Sorgen, wenn mitten in Europa von `illiberaler Demokratie‘ geredet wird – so als wäre das nicht ein Widerspruch in sich. Deshalb können wir es nicht hinnehmen, wenn rechtsstaatliche Prinzipien verletzt und demokratische Kontrolle zurückgebaut wird.“ Und er fährt fort: „Für Rassismus und Antisemitismus darf es in Europa keine Toleranz geben!“
Klare Ansage zu EU-Grundwerten
Deshalb unterstütze Deutschland die EU-Kommission und das EU-Parlament „in ihrem Einsatz für die Rechtsstaatlichkeit“. Scholz unterstützt den Vorschlag, „Zahlungen konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen“. Darüber hinaus solle die Kommission neue Möglichkeiten erhalten, „Vertragsverletzungsverfahren auch dann einzuleiten, wenn gegen das verstoßen wird, was uns im Kern zusammenhält: gegen unsere Grundwerte“.
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt sich am Ende seiner Prager Rede überzeugt: Die EU habe alle Möglichkeiten, ihre Zukunft zum Guten zu gestalten. Und er lässt keinen Zweifel: „Europa ist unsere Zukunft. Und diese Zukunft liegt in unseren Händen.“