Schließung des FES-Büros in Russland: Gab keine Warnungen im Vorfeld
Am 8. April wurde das FES-Büro in Moskau geschlossen. Kam die Schließung überraschend oder gab es Warnungen?
Es gab keine Warnungen im Vorfeld, insofern war es überraschend. Aber da die bilateralen Beziehungen sich in so kurzer Zeit derart verschlechtert haben, war damit zu rechnen, dass früher oder später etwas kommt, härtere Auflagen zum Beispiel. Wir hatten eher erwartet, dass sie erst eine Stiftung schließen, und dann geht es nach und nach weiter und dass sie auch versuchen, uns gegeneinander auszuspielen. Das ist nicht passiert. Stattdessen haben sie sich dazu entschlossen, nicht nur die FES-Büros, sondern gleich alle politischen Stiftungen quasi zu schließen, indem sie uns alle aus dem zuständigen Register gestrichen haben.
Was bedeutet das, und wie ist es begründet worden?
Es ist auch für uns noch nicht klar, was das juristisch bedeutet. Wir haben noch keine offizielle Begründung bekommen. Bisher gibt es nur eine Pressemitteilung des Justizministeriums, dass wir aufgrund von Rechtsverstößen aus dem Register genommen worden sind. Wir wissen auch nicht, welche Verstöße das sein sollen. Da warten wir noch auf eine Antwort bzw. fragen nach.
Was bedeutet die de facto Schließung für die Arbeit der FES in Russland?
Wir können mit unseren Vertretungen in St. Petersburg und in Moskau nicht mehr arbeiten. Wir müssen alle Projekte einstellen, weil wir dafür keine Rechtsgrundlage mehr haben. Etwa Projekte mit den Gewerkschaften, mit NGOs oder zur Geschichte von Stadtentwicklung, es sind Projekte in ganz unterschiedlichen Bereichen, auch im Bereich Literatur und Forschung. Zum Beispiel haben wir ein Buch gemacht über Russland im Jahr 2050. Wir können weiter zu Russland arbeiten, und das wollen wir auch machen. Denn das Land verschwindet ja nicht. Wir wollen dabei unterstützen, dass die Gesellschaften der beiden Länder weiter in Kontakt bleiben. Denn dauerhaften Frieden in Europa wird es nur geben, wenn alle Nationen miteinander im Austausch sind.
Es wurde ja nicht nur die politischen Stiftungen dicht gemacht, sondern auch die Büros von Amnesty international, Human Rights Watch und die Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Welche Auswirkungen hat das in Russland, auch im Hinblick auf Menschenrechte?
Der russische Staat nimmt uns die Möglichkeit, weiter mir der russischen Gesellschaft auf den verschiedenen Ebenen in Kontakt zu treten, sei es mit der Zivilgesellschaft, in der Politik oder in der Wissenschaft. Der Kontakt wurde auf allen Ebenen gekappt. Das berührt auch die Menschenrechte. Diese Entwicklung hat ja schon früher begonnen, und es ist definitiv keine gute.
Bleiben Sie in Moskau oder müssen Sie das Land verlassen?
Ich bin wenige Stunden vor dem Beschluss mit meiner Familie zum Osterurlaub in Deutschland aufgeschlagen. Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht, hoffe aber, dass ich ordnungsgemäß und rechtlich konform zurückkehren kann, um alles „abzuwickeln“, das Büro zu schließen und die Vertragsbeziehungen sauber aufzulösen. Aber da sind wir, wie gesagt, noch im Klärungsprozess. Ohne den Beschluss im Detail zu kennen, ist es schwer zu sagen, wie lange ich jetzt noch dort sein kann und wie es insgesamt mit der Stiftung dort weitergeht. Ich kann vor Ort nichts mehr ausrichten. Denn das Signal ist klar: Der russische Staat möchte uns jetzt nicht mehr dort haben, das müssen wir respektieren, auch wenn wir es falsch finden. Ich werde das sicher auch nicht weiter eskalieren, allein schon, um unsere Partner und Mitarbeiter nicht zu gefährden.
Sie sind ein erfahrener Russlandkenner. Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine läuft offenbar schlechter als geplant. Welche Strategie wird er nun verfolgen?
Die Ausgangsüberlegungen sind nicht aufgegangen: ein Blitzkrieg mit Luftschlägen im ganzen Land und schnellen Luftlandetruppen, die die Kontrolle über Kiew und andere zentrale Punkt bekommen und das Regime stürzen während die Hälfte der Bevölkerung winkend und mit Blumen in der Hand am Straßenrand steht und sich über die „Befreier“ freut. Insofern mussten die russischen Streitkräfte komplett umplanen und haben dafür verhältnismäßig lange gebraucht. So wie es derzeit aussieht, geht es den russischen Streitkräften darum, sich voll auf den Osten der Ukraine zu konzentrieren und diesen komplett zu kontrollieren, die gesamte Region Donbass zu erobern – sie nennen es „befreien“ – und nicht nur einen Korridor hin zur Krim.
Sehen sie irgendein Szenario, dass Putin diesen Krieg schnell beenden wird?
Das ist schwer zu sagen, weil die Finalität dieses Krieges nicht wirklich klar ist, sie variiert immer wieder. Ich bin mir über das Ziel dieser so genannten „Spezialoperationen“ nicht wirklich sicher. Deswegen ist es schwer zu sagen, wie lange sie das aushalte wollen.
In Deutschland war zu lesen, dass 80 Prozent der russischen Bevölkerung für diesen Krieg seien. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen vor Ort?
Mir Umfragen muss man vorsichtig sein, denn sie unterliegen auch der Zensur, und die Menschen überlegen sich sehr genau, was sie sagen, wenn sie für eine Umfrage angerufen werden. Ich glaube nicht, dass es 80 Prozent sind, aber es kann durchaus die Mehrheit der Bevölkerung sein. Es gibt einen kleinen Teil der Gesellschaft, der klar gegen diesen Krieg ist. Aber das Gros dieser Menschen hat das Land bereits verlassen. Dann gibt es einen kleinen Teil echter Nationalisten. Und es gibt einen großen Block, der sich indifferent verhält, auf den aber zunehmend dieser Ready-Round-the-Flag-Effekt wirkt, also die hohe kurzfristige Unterstützung und das sich Sammeln hinter der politischen Führung in Krisen- oder Kriegszeiten. Diesen Effekt darf man nicht unterschätzen.
Tatsache ist aber auch, dass sich die Menschen mit dem Krieg noch nicht so stark auseinandersetzen, weil dessen Folgen trotz Preissteigerung und ersten wirtschaftlichen Problemen noch nicht spürbar im Alltag der Menschen angekommen sind. Das kommt noch.
Ist es absehbar, wann die russische Bevölkerung die wirtschaftlichen Folgen des Krieges stärker spüren wird?
Erst einmal hat die russische Regierung Ruhe reingebracht, weil sie den Rubel – wenn auch künstlich – stabilisiert hat. Das trägt zur Beruhigung der Menschen bei und nährt das Gefühl, so schlimm wird es schon nicht werden, der Westen wird sich früher oder später wieder einkriegen, und dann wird alles wieder wie vorher. Mit dieser Vorstellung kann man in Russland ganz gut aushalten, was gerade passiert. Aber diese Stabilisierungsmaßnahmen haben nur eine kurzfristige Wirkung. Denn das, was gerade an Produktions -und Lieferketten kaputt geht, auch was an Manager- und IT-Potential verloren geht, weil diese Menschen ausreisen, das wird nicht so schnell zurückzuholen sein. Diese Verluste werden sich langfristig, auf Russlands Chancen, sich wirtschaftlich zu entwickeln, auswirken und vermutlich gibt es in den nächsten Monaten auch eine deutlich steigende Armut und Arbeitslosigkeit mit weiter steigenden Preisen. Und das wird nicht ohne Folgen bleiben.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.