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Schäfer-Gümbel: „Die großen Fragen können wir nicht ohne China beantworten“

Brexit, billiger Stahl – das Verhältnis zwischen China und der EU ist zurzeit nicht ganz leicht. SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist gerade aus China zurückgekehrt. Im Interview berichtet er über gegenseitige Ängste und sagt, warum die SPD auf den Austausch mit der Kommunistischen Partei setzt.
von Kai Doering · 15. Juli 2016
Stahlproduktion in China
Stahlproduktion in China

Die chinesische Wirtschaft wächst so langsam wie seit 25 Jahren nicht. Sie kommen gerade aus China zurück. Wie ist die Stimmung im Land?

Man muss die Situation differenziert betrachten. Es stimmt zwar, dass die chinesische Wirtschaft in manchen Bereichen schwächer ist als in den vergangenen Jahren. Das ist zum Teil ein wirkliches Problem, zum Teil aber auch Strategie der Regierung. Allerdings wird der Dienstleistungssektor in diesen Zahlen überhaupt nicht abgebildet. Die Sorgen im Land halten sich also in Grenzen. Zumal man auch sehen muss, dass zehn Prozent Wirtschaftswachstum vor zehn Jahren verglichen mit sechs Prozent 2016 in absoluten Zahlen sogar ein geringeres Wachstum bedeuten, weil die Ausgangsbasis heute größer ist. Dass sich das chinesische Wachstums- und Wohlstandsmodell verändert und konsolidiert, ist grundsätzlich eine richtige Entwicklung.

China sollte eigentlich in diesem Jahr als Marktwirtschaft eingestuft werden. So war es bei der Aufnahme in die Welthandelsorganisation 2001 vereinbart worden. Das EU-Parlament hat sich nun aber dagegen ausgesprochen. Wie bewerten Sie das?

Wir möchten, dass deutsche Unternehmen in China dieselben Rechte und Pflichten haben wie chinesische Unternehmen in Deutschland. Das habe ich auch bei den Gesprächen, die ich jetzt geführt habe, wieder deutlich gemacht. Es gibt Stellen, an denen das gut läuft und andere, an denen es nicht so gut läuft. Bei der Einstufung Chinas als Marktwirtschaft muss die EU-Kommission zu einer Bewertung kommen. Klar ist, dass zentrale Anforderungen an eine soziale Marktwirtschaft, wie wir sie verstehen, von China bisher nicht erfüllt werden.

Schon jetzt hat die EU mit Billigprodukten aus China, etwa Stahl, zu kämpfen. Wird das Land als Marktwirtschaft eingestuft, würde es Strafzahlungen dafür sehr wahrscheinlich entgehen.

Sowohl die EU als auch China sind sich einig, dass die ökonomischen Folgen der Einstufung Chinas als Marktwirtschaft keine zentrale Rolle spielen. Viel stärker geht es um Prestige bzw. einen Gesichtsverlust, sollte China der Status verwehrt bleiben. Würde China als Marktwirtschaft anerkannt, wären die Hürden für Strafmaßnahmen zwar künftig höher und Verfahren würden komplizierter. Unmöglich wären sie aber nicht. Die bestehende Asymmetrie im Marktzugang zwischen China und Deutschland ist kontraproduktiv und nicht hinnehmbar. Das habe ich bei meinem Besuch auch angesprochen. Neben der Stahlproduktion geht es auch um den Bereich Kohle. Die chinesische Seite sieht das Problem durchaus und hat angekündigt, Überkapazitäten aus dem Markt zu nehmen.

China hat in den vergangenen Jahren in keinem EU-Land stärker investiert als in Großbritannien. Wird der Brexit diese Kooperation abwürgen?

Was die Zusammenarbeit mit Großbritannien angeht, herrschen in China Katerstimmung und Frustration. Das Land hat in den vergangenen Jahren viel Geld in Großbritannien investiert - immer mit der Perspektive, über Großbritannien auch auf dem europäischen Binnenmarkt Fuß zu fassen. Die Angst ist groß, dass man die getätigten Investments in größerem Umfang abschreiben muss. Für die anderen EU-Staaten kann das positiv sein. Ich gehe davon aus, dass sich chinesische, aber auch japanische und koreanische Unternehmen stärker in Richtung Eurozone orientieren werden.

Deutschland und China setzen verstärkt auf grünes Wachstum. Im Juni haben beide Länder vereinbart, ein gemeinsames Zentrum für nachhaltige Entwicklung zu gründen. Wie können Deutschland und China da voneinander profitieren?

Klar ist, dass wir die großen Fragen der Menschheit nicht ohne China beantworten können. Auch deshalb gibt es seit Jahrzehnten den von Willy Brandt initiierten strategischen Dialog zwischen SPD und der Kommunistischen Partei Chinas. Ich habe keinen Zweifel, dass beide Seiten sehr interessiert daran sind, die ökologische Dimension nachhaltig zu verbessern. China steht da auch innenpolitisch unter Druck, etwa wenn man sich die Themen Luftreinheit oder Wasserqualität ansieht. Ich bin auch sicher, dass China den Pariser Klimavertrag sehr schnell ratifizieren wird.

China spielt eine immer wichtigere Rolle, kommt in der Wahrnehmung in Deutschland aber immer noch recht selten vor. Woran liegt das?

Das hat unterschiedliche Gründe. Wir Europäer sind uns untereinander und auch den USA kulturell näher. Die Nachkriegsgeschichte spielt da eine große Rolle. In den letzten Jahrzehnten gab es einen intensiven kulturellen Austausch mit den Vereinigten Staaten. Hinzu kommt die Sprachbarriere. Es gibt nach wie vor ein großes Unverständnis, was China ausmacht und wie es funktioniert. Die SPD und die Kommunistische Partei Chinas pflegen bei aller Unterschiedlichkeit einen respektvollen Umgang. Das ist eine gute Grundlage für eine Partnerschaft. Es gibt das chinesische Sprichwort: Man kommt das erste Mal als Freund, das zweite Mal als guter Freund und das dritte Mal als alter Freund. Und unter alten Freunden kann man offen sprechen.

Als Asien-Beauftragter der SPD sind Sie sicher schon ein alter Freund.

Immerhin war ich in den letzten fünf Jahren neun Mal in China und in den Gesprächen zwischen SPD und Kommunistischer Partei haben wir schon eine Menge erreicht.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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