International

„Sanktionen sind kein Selbstzweck“

von Jörg Hafkemeyer · 19. September 2014

Frank-Walter Steinmeier hat viel zu tun in diesen Tagen. In der Krim-Krise spielt der Bundesaußenminister eine Schlüsselrolle und versucht, den Konflikt zu entschärfen. Im Interview mit vorwärts.de sagt er, vor welchen Herausforderungen er die Ukraine sieht – und was ihn ermutigt.
 

vorwärts.de: Sie sind gerade von einer dreitägigen Afrika-Reise zurückgekehrt. Steht Afrika mehr im Fokus Ihrer Arbeit? 

Frank-Walter Steinmeier: Europa und Afrika rücken näher zusammen. Das Mittelmeer trennt uns immer weniger. Unser Nachbarkontinent verändert sich schneller als die Wahrnehmung von ihm bei vielen in Europa. Was auf dem einen Kontinent geschieht, hat unmittelbare Folgen auf dem anderen. Die große Euro-Krise hat auch Afrika in Mitleidenschaft gezogen. Wir bekommen die Folgen von Krisen in Afrika, von Mali über den Südsudan bis nach Somalia, zu spüren. Andererseits profitieren wir auch von guten Entwicklungen in Afrika hin zu politischer Stabilität und regionaler Zusammenarbeit, nicht zuletzt durch wachsenden Handel und mehr Austausch. Deshalb ist es wichtig, den Dialog zu vertiefen und gemeinsam nach Lösungsansätzen zu suchen. In Addis Abeba bei der Afrikanischen Union, auch bei anderen Gesprächspartnern ging es dabei nicht um den Einsatz deutscher Soldaten, sondern um Hilfe, um auf eigenen Beinen stehen und die Probleme selber lösen zu können. Das halte ich für den richtigen Ansatz. Und dafür haben wir viel zu bieten: Hilfe bei Bildung und Ausbildung, gute Entwicklungspolitik, Unterstützung für regionale Integration.
Addis Abeba, Daressalam und Luanda, die Stationen meiner Reise, sind afrikanische Megastädte. Viel ist hier passiert in den letzten Jahren. Man spürt förmlich die Aufbruchstimmung und die neue Dynamik auf dem Kontinent. Wir haben allen Grund dazu, die Chancen zu nutzen, die sich daraus ergeben.

Zurück nach Europa: Droht der Ukraine die Spaltung?

Meine Gespräche vor wenigen Tagen in Kiew und in Donezk haben mich ermutigt. Die politischen Entscheidungsträger in der Hauptstadt und im Osten des Landes sind sich der immensen Verantwortung bewusst, die sie für die Zukunft ihres Landes tragen, und sind bereit, sich für die nationale Einheit der Ukraine stark zu machen. Das ist eine wichtige Richtungsentscheidung. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass vor der Ukraine ein schwieriger Weg liegt. Es müssen schnell Wahlen durchgeführt, es muss eine Verfassungsreform aufs Gleis gesetzt werden. Außerdem muss die Übergangsregierung die dringend notwendigen Reformen anpacken, die erforderlich sind, um den Reformstau zu überwinden, der sich über viele Jahre aufgebaut hat. Eine Mammutaufgabe ist der wirtschaftliche Aufbau des Landes. Wir sind bereit, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern die Ukraine bei der Bewältigung dieser riesigen Herausforderungen zu unterstützen.

Die Lage auf der Krim bleibt angespannt. Viele haben Angst, dass Russland auch vor der Ostukraine nicht halt macht. Was tut Deutschland, um die Krise zu entschärfen?

Ich bin froh, dass es uns in einem Kraftakt gelungen ist, eine OSZE-Beobachtermission auf den Weg zu bringen. Wir haben über drei Tage – und Nächte – verhandelt, mit vielen Höhen und Tiefen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie oft ich mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow oder dem Schweizer OSZE-Vorsitzenden Didier Burkhalter telefoniert habe. Umso erfreuter bin ich, dass die Mission jetzt mit ihrer Arbeit beginnen wird. Über die Beobachter können wir nun aus der Nähe unabhängige und belastbare Informationen über die Lage im Land erhalten und so den im Raum stehenden Behauptungen Fakten entgegenstellen. Natürlich ist das noch nicht das Ende der Krise, aber es könnte ein Beitrag sein, dass aus den Spannungen nicht neue Zusammenstöße und Blutvergießen entstehen. Aber wir müssen auch weiter denken: Ich denke, dass ein Format unter Beteiligung einiger Staaten und Institutionen, in dem Russland und die Ukraine miteinander zu sprechen beginnen, ein nächster Schritt sein könnte.

Wie wirkt sich die Krise auf die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau aus? Wird es weitere Sanktionen geben? Enden wir in einem Wirtschaftskrieg?

Wir stecken in der schwersten Krise in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges. Was auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als ein zentrales Grundelement unserer europäischen Friedensordnung. Der Versuch, sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Grenzen zu korrigieren, ist völkerrechtswidrig und in seinen politischen Konsequenzen noch gar nicht zu übersehen. Mit unseren europäischen Entscheidungen haben wir klare Haltung gezeigt und auch Sanktionen verhängt. Ich sage aber auch: Sanktionen sind kein Selbstzweck, und Abschottung ist noch keine Politik! Deshalb gehört zu unserer außenpolitischen Linie auch: Nicht treiben lassen von medialen Erwartungen oder von Emotionen, und einen kühlen Kopf bewahren, die Konsequenzen eigenen Handelns kalkulieren und den Konflikt vom Ende her denken. Wir müssen Automatismen und Sackgassen vermeiden und Ausstiegsmöglichkeiten aus der Eskalationsspirale nutzen.

Wie geht es jetzt mit der Ukraine weiter?

Ich habe dem ukrainischen Ministerpräsident bei meinem Besuch in Kiew versichert, dass wir der Ukraine dabei helfen wollen, möglichst schnell wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das geht nicht von heute auf morgen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Ukraine Unterstützung von außen bekommt und selbst dringend notwendige Reformen im Innern anstößt. Der Internationale Währungsfonds ist vor Ort, um ein Hilfspaket mit der Ukraine auszuhandeln. Auch die EU hat Hilfe zugesagt. Gleichzeitig wollen wir der Ukraine aus Deutschland zusätzliche Unterstützung anbieten: Wirtschaftliche Strukturreformen, Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Bildungsinitiativen – es gibt viel zu tun. Dabei können wir den Ukrainern mit Expertise und Erfahrung beratend zur Seite stehen.

Das Interview führte Jörg Hafkemeyer.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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