In Sibirien bildet sich eine Separatistenbewegung. Sie orientiert sich an den Rebellen in der Ukraine und fordert mehr Unabhängigkeit von Moskau. Der russischen Regierung gefällt das gar nicht.
Im russischen Fernsehen werden sie als Helden gefeiert: Die Anführer der selbsternannten Separatisten, die, unterstützt von der russischen Regierung, versuchen, den Osten der Ukraine vom Rest des Landes abzuspalten. Bisher – aus ihrer Sicht – mit einigem Erfolg. Große Teile des Donbass sind zerstört. Viele Bewohner sind geflohen, andere sind geblieben und verschreckt, verzweifelt, eingeschüchtert. Der Staat Ukraine liegt schwer verletzt am Boden. Die Regierung hat Angst, dass die russische Armee einmarschiert, den Separatisten hilft und die geschwächte ukrainische Armee verjagt. Knapp ein halbes Jahr nach der russischen Annexion der Krim, auf der Moskau ebenfalls die dortigen Separatisten unterstützte. Nun hat Russland selbst welche: In Sibirien, und Putin geht entschieden gegen sie vor.
Der 17. August ist ein Sonntag. An ihm soll im von Moskau aus sehr fernen Nowosibirsk demonstriert werden auf einem „Marsch für eine Föderalisierung Sibiriens“. Die Teilnehmer an dieser Veranstaltung – sollte sie überhaupt stattfinden – wollen den politischen und wirtschaftlichen Einfluss Moskaus auf Sibirien reduzieren. Sie wollen, dass mehr Geld aus der Rohstoffgewinnung in Sibirien bleibt und dass das Machtsystem der Oligarchen abgeschafft wird. Die politischen Führungen in Moskau wie in Nowosibirsk sind dabei, die Initiative massiv zu behindern. Ihre Internetauftritte – wie auf Facebook – wurden gesperrt oder blockiert. Im russischen sozialen Netzwerk VKontakte wurden daraufhin wieder neue Seiten angelegt.
Die Separatisten verweisen auf die Ostukraine
„Zeigen wir Moskau Sibirien“ – „Es reicht, Moskau zu ernähren“ ist da zu lesen und das Motto zu betrachten: Ein Logo, das auf schwarzem Grund ein rotes Sibirien zeigt. Eine größere Unabhängigkeit von Moskau sollen die örtlichen Behörden erhalten, fordert einer der Unterstützer dieser Bewegung, der Aktionskünstler Artjom Loskutow. In einem Interview mit der BBC sagte er kürzlich, der Name „Für eine Föderalisierung Sibiriens“ beziehe sich ausdrücklich auf die Prozesse in der Ostukraine, die in den russischen Medien als Föderalisierung bezeichnet werden. Denn die Forderung nach einer Föderalisierung der Ukraine sei den Besetzungen öffentlicher Gebäude in der Ostukraine vorausgegangen.
Die Reaktion der russischen Behörden kam prompt und war frei von Überraschungen: Die BBC wurde von der Medienaufsichtsbehörde ultimativ aufgefordert das Interview von ihrer Webseite zu nehmen, da es „Aufrufe zu Massenunruhen und extremistischen Handlungen“ beinhalte. Die Behörde drohte der BBC, ihren Russlanddienst zu schließen, berichtete die Tageszeitung Iswestija. Die Medien wurden streng gewarnt, über die Aktion am 17. August zu berichten. Der Marsch selber ist von der Stadtverwaltung in Nowosibirsk natürlich unter anderem mit den Worten verboten worden: „Die territoriale Integrität und Souveränität Russlands muss garantiert werden.“
Walujew aus Putins Partei wittert eine Verschwörung
Artjom Loskutow hatte in dem Gespräch mit der BBC unter anderem gesagt, es gebe „in Sibirien nur Straßen, um die Ressourcen nach Moskau zu fahren. Er frage nach der Zukunft Sibiriens, daher sei der Marsch „eine Parodie, eine Provokation oder ein realer Versuch einer Autonomisierung. Und die politische Debatte in Moskau hat natürlich auch begonnen. Nikolaj Walujew, Ex-Boxweltmeister im Schwergewicht, sitzt für Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“ in der Duma und warnt: „Dieser Marsch ist eine erste Vorarbeit künftiger globaler Versuche, eine gesamtrussische separatistische Bewegung zu entwickeln.“ Das klingt sehr nach Verschwörungstheorie.
Ilja Ponomarjow ist der Abgeordnete von Nowosibirsk in der Duma. Er hat im März als Einziger gegen die Annexion der Krim gestimmt und jetzt den in Russland weit verbreiteten Satz „Die Krim ist unser“ aufgenommen und in „Sibirien ist unser“ gewandelt. Natürlich unterstütze er den Marsch, schrieb Ponomarjow. Alexej Nawalny, einer der wichtigen und wenigen Oppositionsführer in Russland, hatte schon vor der Annexion der Krim gewarnt, Russland dürfe „nie und auf gar keinen Fall“ Volksabstimmungen wie auf der Krim unterstützen. Es gebe nämlich auch Regionen, in den die Russen in Russland nicht in der Mehrheit seien, wie in Dagestan oder Tschetschenien oder in Sibirien mit einer steigenden Zahl sich dort niederlassenden Chinesen.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).