Russland mit seinen 145 Millionen Einwohnern, 15 Nachbarländern und 4250 Kilometern Grenze zu China meldet am Montag 93 Infizierte. Die niedrige Zahl erklären die zuständigen Institutionen mit den schnell durchgeführten Beschränkungen, so etwa die zeitig erfolgte Grenzschließung nach China und in andere Regionen. Mittlerweile gibt es Flugverbindungen nur noch von Moskau in die Hauptstädte europäischer Länder. Bürgerinnen und Bürger besonders betroffener Staaten erhalten keine Visa mehr.
Wer aus betroffenen Ländern einreist, soll nach der Ankunft in Russland 14 Tage in Selbstquarantäne gehen. Für die Einhaltung der Selbstquarantäne gibt es zumindest in Moskau ein System von über 100 000 Kameras mit Gesichtserkennung, die eine recht umfassende Überwachung ermöglichen. Getestet wurden mittlerweile über 104 000 Personen, unter Überwachung stehen derzeit über 15 000 Personen.
Widersprüchliche Signale der Regierung
Die Signale, die die Regierung anfangs setzte, waren etwas widersprüchlich. Einerseits wurden früh Maßnahmen trotz geringer Fallzahlen ergriffen, anderseits stets betont, alles sei nicht so dramatisch. Die Maßnahmen wirkten daher anfangs wenig stringent. Zwar wurden viele Menschen getestet, aber es gibt gleichzeitig viele Berichte über Menschen mit Symptomen, die keinen Test machen konnten, da sie nicht aus Risikogebieten eingereist waren.
Insgesamt ist die Stimmung in Russland nahezu gelassen, es kam bisher beispielsweise kaum zu Hamsterkäufen. Andererseits führt diese Entspanntheit auch zu geringer Vorsicht. Da es in Russland einige Erfahrungen mit fehlender Transparenz gibt (angefangen von Tschernobyl über die Tragödie der Geiselnahme im Theater Nord-Ost, den Untergang des U-Bootes Kursk und zuletzt Strahlenunfälle), herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber den öffentlich bekannten Fallzahlen. Dies schafft teilweise Raum für Spekulationen und könnte sich negativ auswirken, sollte es zu einem größeren Ausbruch kommen.
Ob das russische Gesundheitssystem einer wirklichen Epidemie gewachsen ist, bleibt eine offene Frage. Zwar ist die Grundstruktur einer flächendeckenden und für Epidemien bestens vorbereiteten Versorgung noch aus sowjetischen Zeiten erhalten. Aufgrund der chronischen finanziellen Unterversorgung fehlt es aber sowohl an Material als auch an Fachkräften.
Pandemie für Russland zur Unzeit
Wirtschaftlich kommt die Pandemie zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Russland befindet sich im Preiskampf mit Saudi-Arabien beim wichtigsten Exportgut Öl. Das Wirtschaftswachstum stagniert seit Jahren, die real verfügbaren Einkommen sind sechs Jahre in Folge gefallen. Die Corona-Krise trifft Russland mehrfach. Die nachlassende Weltnachfrage nach Öl wirkt sich auf den Staatshaushalt und auf den Währungskurs aus. Damit verteuert sich der Import, die Inflation wird steigen und die Einkommen weiter schmälern. Gleichzeitig sinken die Möglichkeiten eines Gegensteuerns. Zwar hat Russland einen gut gefüllten Fonds für solche Situationen, aber auch dieser ist endlich. Zugleich bricht der chinesische Tourismus weg, der einen beträchtlichen Umfang erreicht hat. China fällt nun wohl auch als Investor für eine gewisse Zeit aus. Darauf hatte Russland nach dem Konflikt mit den westlichen Nachbarn und den USA eigentlich gesetzt. Dies wirft die ohnehin nur schleppend laufende Modernisierung der Wirtschaft weiter nach hinten.
Der Staat versteht die Problematik. Eine falsche Entscheidung kann sich erheblich auf die Stabilität im Lande auswirken, ein gutes Krisenmanagement allerdings auch die Proteststimmung der letzten Monate abmildern. Daher wurde nun ein zentrales Gremium im Staatsrat geschaffen, das die Anstrengungen national koordinieren soll. Gleich am Montag wurden die Maßnahmen verschärft, die Schulen werden ab dem 23. März geschlossen, Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen verboten und die Älteren explizit aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Mit der bisherigen Ruhe scheint es also langsam zu Ende zu gehen. Die Krise wird sich auf Russland stark auswirken. Ob das auch für die Regierung und den Präsidenten gilt, hängt vom Krisenmanagement ab.