Russland-Beauftragter Saathoff: Nord Stream 2 bleibt sinnvoll
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Herr Saathoff, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wollte am Freitag letzter Woche in Moskau die Beziehungen zu Russland normalisieren. Zeitgleich verwies der Kreml drei Diplomaten aus EU-Staaten des Landes. Beobachter sprechen von einer beispiellosen Demütigung Brüssels. Wie sieht ihre Bewertung aus?
Diese Ausweisung ist absolut nicht nachvollziehbar und in keiner Weise gerechtfertigt. Selbst Bilder, die ja sehr schnell im russischen Fernsehens als Rechtfertigung herangezogen wurden, zeigen, dass sie sich nur ein eigenes Bild von den Ereignissen verschafft haben - und zwar mit rechtmäßigen Mitteln, wie es das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vorsieht. Den Dialog mit Russland zu suchen, wie es Josep Borrell getan hat, ist und bleibt richtig. Es ist die Reaktion Moskaus, die einen konstruktiven Austausch erschwert. Unser Interesse ist es, zu einem guten oder zumindest konstruktiven Verhältnis zu kommen. Wenn Dialogangebote auf politischer Ebene nicht angenommen werden, so wird oft vergessen, dass es eine große Vielfalt gewachsener gesellschaftlicher Kontakte gibt. Diese unterstütze ich mit aller Kraft.
Welche Auswirkungen hat die demonstrative Ausweisung des deutschen Top-Diplomaten aus Moskau auf die deutsch-russischen Beziehungen?
Außenminister Maas hat diesen Schritt deutlich zurückgewiesen als weitere Belastung unserer Beziehungen. Mit unseren Partnern haben wir dann auch unmittelbar gemeinsam reagiert. Russland muss sich fragen, welche Beziehungen es mit dem Rest Europas haben möchte. Wir werden uns jedenfalls nicht beirren lassen; Menschenrechte werden einen wichtigen Platz in der Gestaltung unserer Beziehungen behalten.
Das brutale Vorgehen des Kreml gegen den Oppositionspolitiker Nawalny und seine Anhänger löst weltweit Empörung aus. Welche Reaktion Deutschlands halten Sie nun für notwendig?
Das ganze Verfahren, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als „willkürlich und unbillig“ bezeichnet hat, steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Rechtsstaats und auch zu Russlands Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die gewaltsame Niederschlagung der Proteste hat erneut gezeigt, dass selbst in der russischen Verfassung garantierte Rechte nicht gewährt werden. Das ist die Forstsetzung von Entwicklungen, die wir schon seit Jahren kritisch beobachten und kommentieren, etwa die Gesetze über „ausländische Agenten“. Und es muss klar gesagt werden: Das sind keine inneren Angelegenheiten, Russland verstößt gegen seine internationalen Verpflichtungen.
Die Forderungen und Appelle von Verbündeten an Berlin, als Reaktion auf Nawalny die deutsch-russische Ostseepipeline Nord Stream 2 zu stoppen, werden immer lauter, stoßen aber in Berlin auf taube Ohren. Wie sehr schadet sich Deutschland damit selbst?
Nord Stream 2 ist energiepolitisch sinnvoll. Bei einem Baustopp würde auch kein Gramm Methan weniger aus Russland importiert werden. Das ändert aber nichts an unserer klaren Haltung gegenüber Russland. Es ist aus meiner Sicht viel sinnvoller, wenn unsere Reaktion die Verantwortlichen von Repression direkt trifft - und nicht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa.
Bisher werden im Fall Nawalny sechs Russen mit persönlichen Sanktionen belegt. Das scheint den Kreml nicht zu beeindrucken. Könnten durchgreifendere Sanktionen, die Russland auch wirtschaftlich treffen, daran etwas ändern?
Wir machen uns keine Illusionen: Die Politik Moskaus wird sich nicht so leicht ändern, auch nicht durch Druck allein. Sanktionen müssen als Instrument immer zielgerichtet sein. Dass die Europäische Union reagiert, wenn die russische Führung sich immer wieder über Völkerrecht hinwegsetzt, ist aber notwendig und richtig. Die Sanktionen, die wegen des Einsatzes einer verbotenen Chemiewaffe beschlossen wurden, treffen die Verantwortlichen. Wir müssen nun ausloten und uns eng abstimmen, welche Reaktion auf die jüngsten Repressionen richtig und angemessen ist. Das werden die Außenminister beim nächsten Außenrat tun.
Berlin ist zusammen mit Paris und Kiew seit Jahren im Gespräch mit Moskau über die von Russland besetzte Ost-Ukraine und die annektierte Krim. Es scheint, als nutze der Kreml dieses Gesprächsformat lediglich um seine militärisch erworbene Position zu zementieren und den Westen hinzuhalten, oder?
Wir unterstützen die territoriale Integrität der Ukraine. Die Verhandlungen im Normandie-Format sind mühsam, aber sie bleiben das Format, um den Konflikt in der Ostukraine zu lösen. Es gab im vergangenen Jahr auch Fortschritte, wie einen Waffenstillstand, aber auch bei der Entminung und Entflechtung von Truppen. Das sind echte Verbesserungen für die Menschen im Konfliktgebiet, wenn auch bei weitem nicht genug. Der Weg, den wir hier konsequent weitergehen müssen, ist die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Damit würden auch die mit dem Konflikt in der Ostukraine verbundenen Sanktionen gegen Russland entfallen können.
In Belarus nimmt der Kreml Einfluss, um den Diktator Lukaschenka zu unterstützen und die Demokratiebewegung zu unterdrücken. Deutschland und die EU scheinen hilflos. Was muss hier geschehen?
Eine Lösung der Situation kann es nur in einem echten innenpolitischen Dialog geben, der die Vertreter der Demokratiebewegung mit ihren Forderungen einbindet. Diesen verweigert Herr Lukaschenka. Unterstützung erwarten die vielen mutigen Menschen, die seit Monaten für freie Wahlen, für Demokratie und gegen Gewalt und Willkür demonstrieren. Das Auswärtige Amt hat einen Aktionsplan im Umfang von 21 Millionen Euro beschlossen. Damit werden Opfer von Folter Hilfe erhalten, die Einreise nach Deutschland wird für politisch Verfolgte erleichtert, und wir unterstützen Organisationen, die die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren.
Der neue US-Präsident Joe Biden hat klargestellt, dass er im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Trump russischen Aggressionen und Menschenrechtsverletzungen nicht weiter schweigend zusehen wird. Welche Auswirkungen hat dieser Politikwechsel Washingtons auf die deutsche Politik gegenüber Russland?
Es ist gut, dass wir in der Regierung von Präsident Biden wieder einen berechenbaren Partner haben, der unsere Werte und Interessen teilt, die wir international vertreten. Wir setzen darauf, dass wir auf dieser soliden Grundlage auch über Unterschiede in einen vernünftigen Dialog treten können, um gemeinsame Antworten auf Herausforderungen zu entwickeln. Die Verlängerung des New START-Vertrags sehe ich mit Blick auf Russland als hoffnungsvolles Zeichen.