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Rumänien und Corona: Gesundheitssystem mit roter Laterne

Rumänien schränkte das Leben schon Anfang März massiv ein, weil das Land nicht viele Optionen im Kampf gegen die Pandemie hat. Das Gesundheitssystem ist chronisch unterfinanziert, das Land hat viel Fachpersonal an europäische Nachbarn verloren.
von Juliane Schulte · 27. April 2020
Viele Menschen aus Rumänien helfen in Deutschland bei der Spargelernte.
Viele Menschen aus Rumänien helfen in Deutschland bei der Spargelernte.

Während man in Deutschland Anfang März noch über die Möglichkeit von Bundesliga-Fußballspielen diskutierte, wurde das Leben in Rumänien bereits ab dem 10. März massiv eingeschränkt – da waren gerade einmal 29 Fälle von Covid-19 nachgewiesen. Norditalien hatte gezeigt, wie schnell das Virus das Gesundheitssystem selbst eines wohlhabenderen Landes zum Kollaps bringen kann – und in Rumänien weiß man um den desolaten Zustand des eigenen Gesundheitssystems. Das Land gibt EU-weit am wenigsten für das Gesundheitswesen aus, gerade einmal fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (EU-Durchschnitt: zehn Prozent). Auch bei der Verfügbarkeit medizinischen Personals hält Rumänien in der EU den Negativrekord, denn Ärzte und Pfleger haben das Land seit dem EU-Beitritt 2007 in Scharen verlassen: Schätzungen zufolge 15 000 bis 20 000 Ärztinnen und Ärzte hat Rumänien an reichere Länder verloren.

Und damit wären wir schon bei der zweiten großen Sorge der rumänischen Regierung: Die riesige Diaspora. Von den circa 20 Millionen Rumänen lebt ein Fünftel im EU-Ausland: ungefähr 1,3 Millionen in Italien, 700.000 in Deutschland, 600.000 in Spanien – allesamt von der Corona-Krise besonders betroffene Länder. Diese Mitbürger wollte man nun von der Rückkehr abhalten, indem sehr strenge Quarantänemaßnahmen beschlossen wurden und der Flugverkehr mit diesen Ländern eingestellt wurde. Dennoch sind in den letzten Wochen zigtausende Rumäninnen und Rumänen in ihre Heimat zurückgekehrt, haben sie doch ihre Verdienstmöglichkeiten in den Gastländern verloren.

Trotzdem Erntehelfer in Deutschland

Gleichzeitig sind viele Rumänen bereit, das Risiko einer Infektion sowie enorm schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen, wie das Beispiel der Erntehelfer für Deutschland zeigt: Anfang April einigten sich der deutsche Innenminister und seine für die Landwirtschaft zuständige Kollegin, in den kommenden zwei Monaten 80.000 Erntehelfer*innen ins Land zu lassen. Ein Großteil davon kommt aus Rumänien. Aufsehen erregten die Bilder vom Flughafen im rumänischen Cluj: Fast 2 000 Personen warteten über Stunden dicht gedrängt auf die Abflüge nach Deutschland. Die Aufnahmen sorgten für Empörung in Rumänien, und in Deutschland wurde Kritik laut, dass so das Virus importiert werde.

Zwar wurden strenge Auflagen beschlossen: Bei der Einreise wird die Temperatur gemessen, die Erntehelfer müssen vom Flughafen direkt zu den Betrieben gefahren werden und sollen diese dann nicht mehr verlassen. Aber diese Quarantänemaßnahmen sollen wohl vor allem eine Ansteckung der deutschen Bevölkerung verhindern – die Erntehelfer machen sie noch abhängiger von ihren Arbeitgebern. Auch ist es äußerst fraglich, ob Abstandsregelungen und Hygienestandards auf dem Feld und in den sehr einfachen Unterkünften eingehalten werden. Bereits am 11. April starb der erste rumänische Erntehelfer in Baden-Württemberg an den Folgen von Covid-19.

Nach dem Debakel am Flughafen in Cluj geloben die Verwaltungen der rumänischen Flughäfen, für ausreichend Abstand zu sorgen. Davon, dass Deutschland seine 80.000 Erntehelfer zusammenbekommen wird, ist auszugehen, denn Corona trifft die rumänische Wirtschaft hart. Das arme und schon vor der Pandemie hochverschuldete Land hat dem weitaus weniger entgegenzusetzen als die westeuropäischen Länder: Ein Drittel der circa 800.000 rumänischen Kleinunternehmen ist vom Bankrott bedroht, eine Million Arbeitsverträge ruhen. Die betroffenen Arbeitnehmer können zwar für die Zeit des Ausnahmezustands von Kurzarbeitsregeln profitieren, aber mittelfristig könnten ihre Jobs gänzlich verschwinden, und die Arbeitslosenunterstützung ist in Rumänien äußerst dürftig. Die vielen Rumäninnen und Rumänen ohne regulären Arbeitsvertrag bleiben weitgehend ohne staatliche Unterstützung.

Besondere Rezession nach Corona absehbar

Angesichts der drastisch hohen Zahlen der Infizierten und Toten in Spanien und Italien ist es nachvollziehbar, dass diese beiden Länder im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, wenn es um EU-Programme zur Bewältigung der Krise geht. Die Nöte östlicher Mitgliedsländer wie Rumänien sollten darüber jedoch nicht vergessen werden. Rumäniens Ärzte werden wohl auch nach der Krise im Westen gebraucht werden, ebenso die Spargelstecher. Aber vielen der vier Millionen Rumäninnen und Rumänen, die vor der Krise im EU-Ausland arbeiteten, wird diese Einkommensquelle wohl verlorengehen, wenn infolge der sich abzeichnenden Rezession in Westeuropa Stellen abgebaut werden. Auf einen Ersatz in Rumänien können sie nicht hoffen. Die Diskussion um den wirtschaftlichen „Wiederaufbau“ nach Corona muss daher auch die östlichen Mitgliedstaaten berücksichtigen und ihren besonderen Bedürfnissen gerecht werden.

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal am 24. April.

Autor*in
Juliane Schulte

Juliane Schulte leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien. Zuvor war sie Referentin für die Visegrád-Länder im Referat Mittel- und Osteuropa in Berlin.

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