Rücktritt von Tsipras: Warum viele Griechen sich hintergangen fühlen
„Ich werde ihn nicht noch einmal wählen,“ sagt ein 23-jähriger Hotelfachmann, der in Alexis Tsipras den großen Neuanfang gesehen hatte. Ebenso wie die 25 Abgeordneten, die sich gestern Nacht von der Syriza abgespaltet und die neue Partei Laiki Enotita (Volkseinheit) gegründet hatten, ist er enttäuscht vom ehemaligen Hoffnungsträger. Viele der bisherigen Syriza-Wähler wissen nichts mit dem neuen Gesicht des (ehemaligen) Ministerpräsidenten anzufangen.
Neuwahlen als parteiinternes Machtspiel
Das, was viele in Griechenland seit langem prognostiziert haben, ist nun eingetreten. Nachdem gestern Nachmittag das Gerücht von Neuwahlen aus dem Megaron Maximou – dem Parlament in Athen – drang, war es den meisten klar: Tsipras wird zurücktreten. Als er dann abends vor die Kameras trat, wurde die Gewissheit bestätigt. Der Ministerpräsident verkündete, er werde beim Staatspräsidenten seinen Rücktritt und den der gesamten Regierung einreichen.
Er habe sich mit den Partnern nicht so einigen können, wie er das wollte und den Widerstand der Europäer unterschätzt, begründete er seinen Schritt. Gleichzeitig kritisierte er linke Hardliner in seiner eigenen Partei, die sich zuletzt gegen ihn gestellt hatten. Viele werfen dem Ministerpräsidenten vor, er missbrauche die Neuwahlen für parteiinterne Machtspiele. „Für Tsipras selbst sind die Neuwahlen wohl ein notwendiger Schritt, für Griechenland nicht unbedingt“, sagt Eleanna Ioannidou, Grünen-Abgeordnete im Stadtrat von Thessaloniki.
Der Kampf hat erst begonnen
Jedoch scheint Tsipras nach seinem radikalen Kurswechsel keine Wahl zu haben, als sich erneut zur Wahl zu stellen. In einem leidenschaftlich und mitunter demagogisch geführten Wahlkampf hatte er den Griechen ein Ende der Sparpolitik, Korruption, Steuerhinterziehung und Günstlingswirtschaft versprochen. In einem Referendum positionierte sich das Volk klar hinter dem Ministerpräsidenten – der daraufhin vor den europäischen Partnern eingeknickte und seitdem die rigorose Sparpolitik umsetzt, gegen die er sich so vehement aufgebäumt hatte. Viele Griechen fühlen sich hintergangen.
„Ich werde gar nicht wählen gehen. Schon wieder 500 Kilometer bis in mein Dorf fahren und dann für nichts und wieder nichts“, erklärt ein Büroangestellter Ende 30. Er habe Tsipras gewählt und sich beim Referendum hinter ihn gestellt. Doch das wolle er nicht mehr mittragen. Ähnlich sieht dies ein Banker aus Thessaloniki: „Tsipras hat zu viele Fehler gemacht. Er hätte nie ein Referendum ansetzen sollen, wenn er dann sowieso das Gegenteil macht.“ Fakt ist, die meisten glühenden Tsipras-Anhänger hätten sich mehr erhofft. Weder hat Tsipras das Land bisher steuergerechter gemacht, noch hat er die Korruption wirksam bekämpft. In seiner Ansprache gestern betonte Tsipras, der Kampf habe gerade erst begonnen. Doch reicht dies für eine Wiederwahl?
Für Prognosen ist es zu früh
Seine Chancen stehen gut. Einige sehen ihn mit einer neuen Syriza sogar in der absoluten Mehrheit. Nach seinem „Coming-Out“ als Realpolitiker kann er – wie zuletzt bei den Parlamentsabstimmungen zur Umsetzung der neuen Reformen – auf Stimmen aus dem konservativen Lager hoffen. Doch auch die Faschisten, die nach Umfragewerten derzeit bei circa 10 Prozent liegen, könnten an Fahrt gewinnen. „Die Goldene Morgenröte ist derzeit die einzige Partei im Parlament, die offen gegen das System ist. Das zieht Protestwähler an“, warnt Grünen-Politikerin Ioannidou vor der Gefahr von rechts. Doch für wirkliche Prognosen ist es zu früh. Erst die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, wie sich die politischen Manöver auf das Volk ausgewirkt haben.
Wie bereits in den letzten Verhandlungstagen vor dem Abkommen scheint es Tsipras vor allem um eins zu gehen: den Schuldenschnitt. Der IWF und die EZB fordern ihn ebenso. Die Europäische Kommission ist gespalten. Vor allem die Bundeskanzlerin weigert sich, die Notwendigkeit eines Schuldenschnitts öffentlich anzuerkennen. Doch insgeheim weiß jeder, dass er nicht zu vermeiden sein wird. Für Griechenland aber geht es um mehr. Den Befürwortern der Sparpolitik stehen viele Gegner gegenüber, die zumeist keine wirklichen Alternativen bieten. Dies trifft auch auf Tsipras zu. Schlussendlich dürfte das die größte Enttäuschung der Griechen sein. Bis zum 20. September sind noch vier Wochen Zeit. Tsipras wird hart kämpfen müssen, um das Vertrauen des Volkes zu behalten.
Florian Schmitz ist freier Autor und lebt in Thessaloniki. Auf seinem Blog eudyssee.net berichtet er über die positiven und negativen Auswirkungen der Krise.