Rückkehr der Reformer*innen: Ein sozialdemokratisches Programm für den Kosovo
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Es war ein turbulentes Jahr im Kosovo. Hatten andere Länder mit der Eindämmung der Corona Pandemie schon alle Hände voll zu tun, so kamen im Kosovo politische und verfassungsrechtliche Krisen hinzu.
Genau vor zwölf Monaten am 25. März 2020 stürzten die alten Bürgerkriegseliten – unter kräftiger Mithilfe seitens der Trump-Administration – die „Koalition der Hoffnung“ (Selbstbezeichnung) von Albin Kurti. Es folgte die Anklage von Staatspräsidentschaft Hashim Thaci im Oktober 2020 für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch das Sondertribunal in Den Haag; und schließlich annullierte das Verfassungsgericht im Dezember 2020 die Wahl der Kurti-Nachfolgeregierung Avdullah Hotis. Ein weiteres Jahr des politischen Stillstands im Kosovo.
Aus dieser Stillstarre geht die Vetëvendosje (VV), die Partei Kurtis, gestärkt hervor und konnte bei der außerordentlichen Parlamentswahl am 14. Februar die absolute Mehrheit gewinnen. Die Wähler*innen straften dabei durchweg die Spitzen aller anderen Parteien ab, die im Laufe der vergangenen 18 Monate versucht hatten, Kurti vom Amt des Premierministers fernzuhalten.
Alle Gegner*innen Kurtis abgestraft
Aber warum diese Vehemenz? Kosovo ist gezeichnet durch eine große Diskrepanz zwischen formellem Recht und dessen Durchsetzung, welche sich durch alle Politikbereiche zieht. Mangelnde Möglichkeiten sind im Hinblick auf die jahrelange, intensive Förderung durch internationale Geldgeber, nur eine unzureichende Erklärung. Vielmehr sind das Wirken informeller Strukturen (State Capture), oft verbunden mit transnational agierender, organisierter Kriminalität, Klientelismus, Nepotismus und Korruption die Ursache.
Kurti hat vor allem diesem „gekaperten Staat“ mit ambitionierten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen den Kampf angesagt. Die Wahl im Februar verdeutlicht den, seit 2019 anhaltenden, Trend, dass die Wähler*innen im Kosovo genug vom Status-Quo haben. Kosovo ist von hoher sozialer wie wirtschaftlicher Ungleichheit geprägt, welche durch die Corona-Krise nur verschärft wurde.
So erklärt sich der politische Erfolg der sozialdemokratisch orientierten VV, die im Rahmen ihres „Alternative Governance“ Programms Schwerpunkte im sozial- und wirtschaftspolitischen Bereich gesetzt hat. Im Fokus steht eine Bekämpfung der hohen (Jugend-) Arbeitslosigkeit (mehr als 50 Prozent) durch arbeitsmarktorientierte Ausbildungsmöglichkeiten (das deutsche System der Berufsausbildung wird als Vorbild gesehen), Reform der Sozialsysteme (Vereinheitlichung des Pensionswesens), des Justizwesens (Sicherheitsüberprüfung von Richtern) und das Verhältnis des Öffentlichen Sektors zum Privatsektor (Reduzierung von Ministerien und politischen Ämtern).
Politisch wichtiges Signal
Im Nachgang der Wahl konnten schon jetzt zwei ermutigende Signale beobachtet werden. Erstens fochten die anderen Parteien das Wahlergebnis nicht an, sondern gestanden ihre Wahlniederlage ein. Dass dieser Umstand bemerkenswert ist, lässt natürlich tief blicken. Aber gerade im Angesicht der polarisierten Parteienlandschaft (VV gegen alle) wurde dies als Hoffnungsschimmer für zumindest eine geordnete Regierungsbildung und Amtsübergabe gesehen.
Zweitens kündigten mehrere Parteien aufgrund der herben Wahlniederlagen, parteiinterne Reformen an. Ob diesen Ankündigungen eine Absage an klientilistische Politik und ernst gemeinte Bemühungen zur programmatischen Entwicklung folgen werden, bleibt abzuwarten. Einen politischen Wettbewerb über verschiedene Lösungswege für die tiefgreifenden Probleme gibt es derzeit nicht.
Herausfordernde Aufgaben
Trotz des Wahlsiegs haben Albin Kurti und der VV hohe Hürden vor sich: die Reform des öffentlichen Sektors, tiefgreifende Wirtschaftsreformen und nicht zuletzt erneute Verhandlungsrunden im Kosovo-Serbien-Dialog. Vor allem aber wird es schwer werden, die beschleunigte Entwicklung von einer sozialen Bewegung zur Regierungspartei zu vollenden. Die Umsetzung von politischen Ideen in Gesetzesinitiativen und Ministerialvorgängen sind für die VV weitestgehend neue Erfahrungen, weshalb die Partei auch zusätzliche Expertise aus der eigenen Diaspora anwirbt. All dies wäre schon herausfordernd genug, wäre man mit dem Reformkurs nicht Fundamentalopposition und Regierungspartei zugleich.
Denn mit dem starken politischen Mandat ist auch ein hoher politischer Erwartungsdruck verbunden. Es wäre für den Kosovo, die Region des Westbalkan sowie die europäische Sozialdemokratie nur zu wünschen, wenn es der Regierung unter Albin Kurti gelingt, diesem gerecht zu werden.