Regierungskrise: Warum Schweden ein unruhiger Sommer bevorsteht
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Ende Juni kehrt normalerweise Ruhe ein im öffentlichen Leben Schwedens. Spätestens nach Midsomar hält das politische Leben für einige Wochen an. Wer kann, versucht in eine „Stuga“ zu fahren und in diesem Ferienhäuschen irgendwo im Wald oder an der Küste den Sommer zu genießen. Nicht so in diesem Jahr. Kurz vor Midsomar ist eine politische Bombe geplatzt. Die immer auf wackeligen Beinen stehende schwedische Minderheitsregierung unter Stefan Lövfen wurde zu Fall gebracht.
In der politischen Landschaft Schwedens dominierten traditionell zwei Lager. Ein rechts-konservatives Lager um die sogenannten „Moderaten“ und ein links-gerichtetes Lager um die Sozialdemokraten. Beide Lager haben sich in der Führung des Landes abgewechselt. Mit dem Aufkommen der rechtspopulistischen Schwedendemokraten geriet dieses Modell aus dem Tritt. Bei den Reichstagswahlen 2018 erhielt die Partei unter Jimmie Åkesson etwas über 17 Prozent. Weder verfügte das linke Lager über eine eigene Mehrheit, noch konnte das rechts-konservative Lager eine Allianz ohne die Schwedendemokraten bilden. Nach vier Monaten komplizierter Verhandlungen gelang es schließlich Stefan Löfven, als Ministerpräsident einer Minderheitsregierung bestätigt zu werden.
Schwedendemokraten: Rechtsextreme Wurzeln
Stefan Löfven, einem gelernten Schweißer, gelang es, eine Übereinkunft mit verschiedenen demokratischen Kräften Schwedens herbeizuführen. Er führte eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der Linkspartei und von zwei liberalen Parteien toleriert wurde. So gelang es, eine Regierung zu verhindern, die direkt oder indirekt von den Schwedendemokraten abhängig wäre. Dieses Bündnis gegen die Rechtspopulisten hat im schwedischen Fall besonders gute Gründe. Schließlich gibt sich die Partei zwar heute einen bürgerlichen Anstrich, hat aber ihren Ursprung in der rechtsextremen Szene Schwedens und wurde in den 1980er Jahren u.a. von einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS gegründet.
Die rot-grüne Minderheitsregierung kam zu Fall, da die Linkspartei ihre Tolerierungspolitik beendet hat. Grund dafür war ein Vorschlag zur Neugestaltung der Mietpreise für neu auf den Markt kommende Immobilien. Während die liberalen Parteien ihre Unterstützung für die Regierung Löfven davon abhängig gemacht hatten, dass es an dieser Stelle zu einer Liberalisierung kommt, hat die Linkspartei immer erklärt, dass sie die Regierung nicht weiter tolerieren würde, wenn die Preisbindung für Mieten bei neu entstehendem Wohnraum angetastet würde.
Hierbei handelt es sich um ein kleines und ein großes Thema zugleich. Es ist klein, weil die Zahl der jährlich neu gebauten Mietwohnungen nur etwa ein Prozent des Gesamtbestandes ausmacht. Es ist groß, weil der Mietmarkt insbesondere in Stockholm sehr eng und überteuert ist und weite Teile der Gesellschaft unter der Wohnungsknappheit leiden.
Misstrauensvotum und Rücktritt
Durch die Erklärung der Linkspartei, die rot-grüne Regierung nicht mehr stützen zu wollen, bestand die Aussicht auf ein erfolgreiches Misstrauensvotum. Prompt nutzten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten die Gelegenheit und haben einen entsprechenden Antrag gestellt. Zusammen mit Linkspartei und einigen konservativen Parteien war der Antrag – erstmals in der schwedischen Geschichte – erfolgreich. Der Regierung Löfven wurde das Misstrauen entzogen. Die Kooperation zwischen Linkspartei und Rechtspopulisten beschreibt der Stockholmer Büro-Leiter der FES, Philipp Fink, klar: „Es ist, als hätte die Linkspartei das Gatter geöffnet und die Wölfe zu den Schafen gelassen
Nach dem Misstrauensvotum bestand für den Regierungschef die Möglichkeit, zurückzutreten oder Neuwahlen auszurufen. Löfven sprach sich für einen Rücktritt und damit gegen Neuwahlen aus. Er begründetet das damit, dass sich Schweden angesichts der Pandemie nach wie vor in einer schwierigen Lage befände und dass in dieser Situation ein Dauerwahlkampf nicht hilfreich sei. Denn: Selbst wenn nun Neuwahlen stattfinden würden, käme es aufgrund einer Besonderheit des schwedischen Verfassungsrechts nicht nur zu Wahlen in diesem Jahr, sondern trotzdem zum regulären Ende der Legislaturperiode im nächsten Jahr und entsprechend zu einer weiteren Reichstagswahl in 2022.
Wie geht es weiter?
Nun hat gemäß der Verfassung der Parlamentspräsident die Hoheit über das Verfahren und muss prüfen, ob es innerhalb der gegebenen parlamentarischen Verhältnisse zu einer neuen Regierungsbildung kommen kann. Parlamentspräsident Andreas Norlén hat nach Gesprächen mit allen Parteien dem Vorsitzenden der konservativen „Moderaten“ einen Sondierungsauftrag erteilt. Ulf Kristersson hat bereits angekündigt, zur Bildung einer neuen Regierung auch mit dem Schweden-Demokraten reden zu wollen.
Doch selbst wenn es zum Tabu-Bruch kommt und die Moderaten mit den Rechtspopulisten kooperieren würden, wären sie immer noch auf weitere Parteien angewiesen. Innerhalb der Liberalen, die als weitere Verbündetet dienen könnten, gibt es aber erhebliche Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten. Gelingt es Kristersson nicht innerhalb von drei Tagen eine neue Regierung zu formen, kann der Parlamentspräsident einen anderen Parteivorsitzenden mit Sondierungen beauftragen und damit den Ball zurück zu Stefan Löfven spielen.
Die Aussichten für die Sozialdemokraten
Einerseits gilt der ehemalige Gewerkschafter Stefan Löfven als außerordentlich geschickter Verhandler und es ist nicht ausgeschlossen, dass er nochmals ein Bündnis für eine rot-grüne Regierung schmiedet. Andererseits gibt es auch innerhalb der Sozialdemokraten Unzufriedenheit darüber, dass die rot-grüne Minderheitsregierung zahlreiche Kompromisse eingehen musste und sich kaum profilieren konnte. Ein Blick auf die aktuellen Umfragen zeigt, dass die Sozialdemokraten die stärkste Kraft sind. Mit knapp 26 Prozent liegen sie vor den Moderaten und den Rechtspopulisten. Eine stabile linke Mehrheit wäre aber nach wie vor nicht in Sicht. Wie es für die Sozialdemokraten im Norden weitergeht, bleibt also weiter offen. Nur eines steht fest: Ruhige Wochen im Sommerhaus dürften erst mal nicht in Sicht sein.
Prof. Dr. Christian Krell lehrt Staatsrecht und Politik an der Hochschule des Bundes und war Büroleiter der FES für die nordischen Länder mit Sitz in Stockholm. Dieser Beitrag wurde nicht in dienstlicher Funktion verfasst.
ist Professor für Politikwissenschaft an der HSPV NRW Köln. Er leitete die Akademie für Soziale Demokratie und das Nordische Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und ist Mitglied der Grundwertekommission der SPD.