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Regierungskrise in Italien: Wie es jetzt weiter gehen kann

Zwar hat Ministerpräsident Mario Draghi die Vertrauensabstimmung im Parlament gewonnen. Dennoch reichte er seinen Rücktritt ein, den Staatspräsident Mattarella nicht annahm. Wie es in Italien nun weitergehen kann, erklärt Michael Braun im Interview.
von Nikolaos Gavalakis · 15. Juli 2022
Macht Mario Draghi weiter als Ministerpräsident oder drohen Neuwahlen in Italien?
Macht Mario Draghi weiter als Ministerpräsident oder drohen Neuwahlen in Italien?

Regierungschef Mario Draghi hat mit seiner Rücktrittsankündigung am Donnerstag für ein politisches Erdbeben in Italien gesorgt. Staatspräsident Sergio Mattarella lehnte dessen Rücktrittsgesuch jedoch zunächst ab. Wie geht es nun weiter?

Der Ball liegt jetzt bei den Parteien. Zur Erinnerung: Mario Draghi ist der Chef der so genannten Regierung der nationalen Einheit, einer Notstandsregierung, die im Februar 2021 mitten in der heißen Phase der Corona-Pandemie entstand. Seine Geschäftsgrundlage war, dass es ihm gelang, die Parteien von rechts bis links in die Koalition einzubinden – inklusive der Fünf-Sterne-Bewegung. Er will keine Regierung leiten, die nur einen Teil des politischen Spektrums abbildet. Dafür steht er nicht zur Verfügung. Das war immer seine Ansage gewesen. Die Frage ist schlicht: Bekommen die Parteien es hin, gewissermaßen auf Los zurückzukehren und sich wieder zu einigen, oder nicht? Falls nicht, stände das Land in der Tat vor einer schweren Krise.

Draghis Regierung der nationalen Einheit hat das Land zuletzt nach einer Reihe von Regierungskrisen stabilisiert. Warum schmeißt er gerade jetzt das Handtuch?

Er wirft jetzt hin, weil die Fünf Sterne ihm ein Bein gestellt haben. Auf dem Papier sieht es weiterhin gut für ihn aus. Er hat die Vertrauensabstimmung am Donnerstag im Parlament mit 172 Ja-Stimmen gegen 39 Nein-Stimmen gewonnen. Aber eine wichtige Kraft scherte aus und damit ist für ihn – seine Worte – der „Pakt des Vertrauens“ gebrochen, der seine Regierung trug. Draghi hat keine Lust, sich in den nächsten Monaten bis zu den regulär anstehenden Wahlen im Frühjahr 2023 mit ihm hadernden Parteien herumzuschlagen. Er sieht die Gefahr, nachdem die Fünf Sterne jetzt den Querschuss abgegeben haben, dass ähnliches von rechts auch passieren könnte, von Matteo Salvinis Lega. Er besteht deshalb darauf, die Geschäftsgrundlage der Regierung wiederherzustellen. Anderenfalls sieht er andere am Zug. Auch Neuwahlen sind eine Option.

Gibt es in den nächsten Tagen noch eine Chance, die Regierung Draghi zu retten? Zur Not womöglich auch ohne die Fünf Sterne?

Ich glaube nicht, dass Draghi sich auf eine Lösung einlässt, bei der die Fünf Sterne nicht dabei sind. Damit sind wir bei dem ersten entscheidenden Player: der Fünf-Sterne-Bewegung unter Giuseppe Conte. Dort hieß es angesichts des Vertrauensvotums, bei dem sie nicht mitgestimmt haben, das sei kein Bruch der Regierung. In der Tat sind die Fünf Sterne-Minister ja auch nicht zurückgetreten. Eine gewisse Verhandlungsbereitschaft ist also durchaus da. Nun ist die Frage: Formulieren die Fünf Sterne ultimative Forderungen, um im Boot zu bleiben? Darauf hat Draghi schon im Vorfeld die Antwort gegeben: Er regiere nicht mit Ultimaten.

Die zweite Partei, die am Ende entscheidend dafür sein wird, ob es noch eine Lösung gibt oder nicht, ist Salvinis Lega. Setzt diese verstärkt auf Neuwahlen in ihrem Kalkül? Oder zuckt sie zurück und bleibt weiter Teil der Regierung der nationalen Einheit? Diese Frage kann nur Matteo Salvini beantworten. Die Rechte ist stark versucht, zu Neuwahlen zu schreiten. Sie würde sie in diesem Moment ziemlich sicher klar gewinnen. Zur Rechten gehört aber nicht nur die Lega, sondern auch die postfaschistische Partei Fratelli d'Italia, die mittlerweile im rechten Spektrum mit bis zu 23 Prozent klar vorne liegt. Diese könnte wiederum Salvinis Neigung zu schnellen Neuwahlen bremsen, denn dann würde nicht er Ministerpräsident, sondern Giorgia Meloni, die Chefin von Fratelli d'Italia.

Keine der aktuellen Regierungsparteien würde also von Neuwahlen profitieren. Könnte es dennoch dazu kommen?

Selbstverständlich, denn die große Frage ist, ob eine Alternative möglich ist. Kein politisches Lager hat eine Mehrheit im Parlament, weder die Rechte noch die progressiven Parteien. Kein politisches Lager kann deshalb aus eigenen Stücken eine Regierung bilden. Es geht nur mit weit gefassten Kompromissen. Deshalb schließe ich Neuwahlen absolut nicht aus. Angesichts der verschiedenen Kalküle jeder einzelnen Partei könnten Neuwahlen durchaus deutlich schneller kommen, als viele erwarten.

Wie viele europäische Länder kämpft Italien mit hohen Inflations-Zahlen und der Gaskrise. Braucht es nicht eine stabile Regierung, um das Land durch die kommenden Monate zu führen?

Italien ist im Wesentlichen ähnlich betroffen wie andere Länder Europas. Beim Gas sieht es etwas besser aus, weil Italien auch aufgrund seiner geografischen Lage schneller diversifizieren konnte. Hauptlieferant ist hier mittlerweile Algerien. Aber natürlich würde ein kompletter Stopp der Gaslieferungen aus Russland auch Italien hart treffen. Bei der Inflation sind die Zahlen sehr ähnlich wie in Deutschland oder Frankreich. Selbstverständlich befindet sich das Land auch hier mitten in einer tiefen Krise. Und die Pandemie ist auch noch nicht vorbei. All dies spräche eigentlich dafür, mit einer Notstandsregierung weiterzumachen. Eine Regierung wohlgemerkt, die das Land bisher einigermaßen sicher auf Kurs gehalten hat und die von einer Person geleitet wird, die ein hervorragendes internationales Standing hat. Es gibt eigentlich keinen objektiven Grund, jetzt die Reißleine zu ziehen und den Sprung ins Unbekannte zu wagen.

Am 15. Juli erschienen im IPG-Journal.

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Autor*in
Nikolaos Gavalakis

leitet die Redaktion des IPG-Journals. Zuvor war er Leiter des Regionalbüros „Dialog Osteuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew. Er hat in Mainz und Kalifornien Politikwissenschaft, Jura und Amerikanistik studiert.

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