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Rede von Macron: Was Frankreich in einer zweiten Amtszeit erwartet

Am Dienstagabend wandte sich Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache an die Französ*innen. Sein Appell: Lassen Sie sich Impfen. Und auch was im Zentrum einer möglichen zweiten Amtszeit als Präsident stehen dürfte, ließ Macron durchblicken.
von Kay Walter · 13. Juli 2021
Rede zur besten Sendezeit: Noch während Emmanuel Macron sprach, griffen viele Franzö*sinnen zum Smartphone, um einen Impftermin zu buchen.
Rede zur besten Sendezeit: Noch während Emmanuel Macron sprach, griffen viele Franzö*sinnen zum Smartphone, um einen Impftermin zu buchen.

Das nennt man wohl Erfolg. Noch während Präsident Emmanuel Macron am Dienstag zur besten Sendezeit erstens die Impfpflicht für medizinisches Personal ankündigte und dann zweitens erklärte, welche Vorteile vollständig geimpfte Personen zukünftig gegenüber ungeimpften genießen werden, nutzten eine Million der chronisch impfskeptischen Französ*innen ihre Mobiltelefone und PCs, um für sich selbst oder Angehörige einen festen Termin zu vereinbaren.

Auch wenn das Land eigentlich bereits auf Urlaubsmodus geschaltet ist, die Rede des Präsidenten war mit Spannung erwartet worden. Wieviel Druck würde Macron machen? Würde er sich ausschließlich zur Corona-Pandemie äußern oder zudem auch politische Akzente für den Rest seiner Amtszeit setzen?

Gerade Letzteres hatten viele Auguren für unwahrscheinlich erklärt. Das werde Maron nicht tun, das sei zu risikobehaftet. Sie sollten sich getäuscht haben. Der Präsident zeigte sich sowohl mutiger als auch klüger.

Ungeimpfte riskieren ihren Arbeitsplatz

Der Reihe nach. Grundlage und Ziel seiner Politik – so Macron – sei, „ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Bürger vor der Pandemie und ihrer Freiheit zu finden“. Da aber die Infektionszahlen bereits wieder deutlich stiegen und eine vierte Welle drohe, verordnete er für das gesamte medizinische Personal die Pflicht, geimpft zu sein. Wer auch immer mit Kranken oder alten, mithin besonders gefährdeten Menschen beruflichen Kontakt hat, muss bis zum 15. September vollständig geimpft sein.

Schon dies eine Maßnahme, die strenger ausfiel als erwartet, setzte Macron noch eins drauf: Wer aus diesem Kreis Mitte September keinen Impfnachweis vorlegen könne, der „riskiere den Arbeitsplatz und die Bezahlung“. Es werde Kontrollen geben.

Umgehend twitterte Marine Le Pen, trotz der jüngsten Wahlniederlagen wiedergewählte Vorsitzende des ultrarechten RN, das sei Beleg einer „unanständigen Brutalität“ des Präsidenten und zeige „seinen Mangel an Dankbarkeit“.

Der Impfpass als Generalschlüssel

Allein es gab wenig ähnliche Äußerungen. Mediziner*innen verweisen darauf, dass für Kinder bereits eine elffache Impfpflicht bestehe (plus Gelbfieber für Guyana) und die Mehrheit der Französ*innen scheint diesen Schutz für Risikogruppen für sinnvoll und angemessen zu halten.

Deutlich umstrittener, dass Macron dann den Impfpass zu einer Art Pass-Partout oder Generalschlüssel deklarierte. Bereits für den Sommer (ab August) soll gelten: Nur mit diesem Zertifikat – egal ob aktueller Test oder Vakzination – gibt es Eintritt ins Kino, ins Theater oder zu Festivals. Desgleichen gilt für Bars und Restaurants, Einkaufszentren, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen, aber auch für Bahn- und Flugreisen. Nichts geht mehr ohne Impfpass.

Besonders Restaurantbesitzer*innen und Kneipiers fragen sich, wie das wohl praktisch aussehen soll. Dazu kommt, dass alle Vakzine weiterhin umsonst verimpft werden, die teuren Tests aber in Zukunft wieder für jeden Einzelnen kostenpflichtig sind. „Je mehr wir impfen, desto weniger Raum überlassen wir dem Virus“, sagte Macron als Begründung. Doch diese Maßnahme dürfte auf Dauer mehr Schwierigkeiten einbringen. Macron bemühte sich denn auch umgehend, den Eindruck von indirektem Zwang abzumildern, indem er an die „Eigenverantwortlichkeit“ der chèrs conpatriotes appellierte, an „Respekt und Solidarität mit Schwächeren“.

Reform des Rentensystems als Plan

Aufbauend auf diesen Verweis auf die Grundwerte der Nation, folgte im zweiten Teil der Ansprache dann die Hinwendung zur Politik und zu dem, was Macron noch weiter erreichen will. Ein kurzer Abriss des Erreichten, mit der zutreffenden Feststellung, dass die (Steuer-) Reformen für all diejenigen, die in Frankreich für den staatlichen Mindestlohn SMIC arbeiten bereits heute monatlich 170 Euro mehr im Portemonnaie bedeuten, dann der Ausblick.

Wer – wie er – mehr Gerechtigkeit wolle ohne neue Steuern, der müsse endlich das Rentensystem grundlegend umbauen. Die bestehenden 42 unterschiedlichen Regelwerke müssten zwingend zusammengefasst, vereinheitlicht und vereinfacht, sprich gerechter werden. Das bedeute auch, dass alle, die in den jetzt kommenden Jahren mit dem Arbeitsprozess beginnen sich auf eine längere Lebensarbeitszeit einstellen müssten.

Da ist es wieder, Macrons Hauptprojekt, die Rentenreform für Frankreich. Nahezu alle „Einflüsterer“ hatten ihn gewarnt: zu gefährlich, nicht durchsetzbar, besser von der Tagesordnung nehmen. Anders der Präsident. Er steht zu seiner Politik und macht sich ehrlich: Premier Jean Castex soll nach der Sommerpause beginnen, das zu besprechen und zu verhandeln.

Das zentrale Projekt einer zweiten Amtszeit

Das ist gut und richtig. Denn damit ist für Jeden offensichtlich die Aufgabe für den Rest der Amtsperiode beschrieben, und noch mehr die, für die zweite Amtszeit. Macron hat so nicht nur indirekt seine erneute Kandidatur angekündigt, er hat vor allem sein zentrales Anliegen zur Abstimmung gestellt.

So wie er beim ersten Mal seine Europa-Politik zum wichtigsten Wahlkriterium gemacht hat, wird es nun die Sozial-Politik. Niemand kann sagen, das wäre nicht klar gewesen. Jede*r hat die Wahl.

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