Rede von Emmanuel Macron: Gereicht hat das nicht
Punkt 20 Uhr am Montagabend. Im französischen Fernsehen auf gleich mehreren Kanälen ertönt die Nationalhymne, im Bild der Élysée-Palast in goldenem Licht. Exakt 13 Minuten wird dann ein erkennbar angespannter Präsident Emmanuel Macron zu „seinen Franzosen“ sprechen.
Hohe Erwartungen an Marcrons Rede
So viel ist sicher: Die Rede war die wichtigste, die Macron in seiner bisherigen Amtszeit zu halten hatte. Die Stunde der Wahrheit sozusagen. Und: Die Erwartungen waren hoch, sehr hoch. Sowohl was den Inhalt der Rede, als auch was ihren Tonfall anging. Erwartet wurde eine den Menschen zugewandte, bürgernahe Rede mit sehr konkreten Vorschlägen und Zielen für eine bessere Sozialpolitik. Die Themen hatten die Gelbwesten vorgegeben: Mindestlohn, Mindestrente, Steuern und vor allem Gerechtigkeit.
Viel zu lange hatte der Präsident geschwiegen, hatte andere, wie Premierminister Édouard Philippe, auf die Protestbewegung der Gelbwesten reagieren lassen. Das alles sollte gestern anders werden, ein Befreiungsschlag sozusagen. War Macron angemessen zerknirscht? Hat der Präsident geliefert?
Die Antwort: Wie man es nimmt. Ja, Macron ist einen Schritt auf die Menschen zugegangen. Vielleicht ist es ihm auch gelungen, ein wenig Druck aus dem Kessel zu nehmen. Genauso sicher ist: Gereicht hat das nicht. Noch lange nicht.
Spannend war, was Macron nicht sagte
Als erstes hat Macron die Ziele der Demonstranten als berechtigt anerkannt. Er bezeichnete die Wut wörtlich als „legitim“ und übernahm seinen „Teil der Verantwortung an der momentanen Krise“. Gleichzeitig verurteilte er die Gewalt der Proteste. Die sei durch nichts zu rechtfertigen. Einen vergleichbaren Spagat versuchte Macron dann in der praktischen Politik. Spannend, was er konkret versprach – aber mindestens ebenso spannend, was er nicht sagte. Er verkündete:
Der Mindestlohn (SMIC) soll ab Januar um 100 Euro steigen – Überstunden sollen ebenfalls ab Januar wieder komplett steuerfrei sein – ebenso Weihnachtsprämien – schließlich sollen auch Renten unter 2000 Euro steuerfrei gestellt werden.
Was Macron nicht sagte ist, wie er das bezahlen und gleichzeitig – wie versprochen – die Defizitkriterien von Maastricht einhalten will. Auch beim Thema Wiedereinführung der Vermögenssteuer: Fehlanzeige, das Thema kam schlicht nicht vor. Lediglich der Satz, Firmen, die in Frankreich Gewinne machten, müssten diese auch in Frankreich versteuern. Das mag Macron ja am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel vorbringen, aber die anderen Regierungschefs werden ihm den Gefallen eben nicht tun, zum Beispiel die Digitalriesen Google und Facebook ernsthaft zur (Steuer-)Kasse zu bitten.
Macron hat diesen Kampf noch nicht gewonnen
„Wir wollen ein Frankreich, in dem jeder würdig von seiner Arbeit leben kann“, versprach Emmanuel Macron, sagte dann: „Die Wut kann unsere Chance sein.“ Aber er verpasste die Chance, einen neuen Sozialpakt vorzuschlagen und einen fairen Lastenausgleich zwischen den extrem unterschiedlichen Einkommensverhältnissen.
Und so kündigten die Gelbwesten für den kommenden Samstag den „Fünften Akt“ an und mobilisieren für erneute landesweite Demonstrantionen. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, das ihre Forderung „Macron, démission“ – übersetzt: „Macron muss weg“ – dann wieder laut und vernehmlich zu hören sein wird. Der Präsident hat diesen Kampf noch nicht gewonnen.
Schlimmer noch: Der linksradikale Jean-Luc Mélonchon trommelt in unverantwortlicher Weise gegen Macron und Europa gleichzeitig. Von beidem will er Frankreich befreien. Er gibt damit nicht nur den Internationalismus, einen Grundpfeiler jeder linken Politik, auf, er betet auch nahezu identisch die Parolen von Marine Le Pen nach. Es bleibt dabei: Es braucht eine gewisse Risikobereitschaft darauf zu wetten, dass Frankreichs Präsident auch nach der Europawahl im Frühjahr weiter Emmanuel Macron heißt.