Rechtsruck in Österreich: Das Land der braunen „Einzelfälle“
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Seit fast zwei Monaten regiert die FPÖ in Österreich mit. Fünf Minister und einen Staatssekretär stellen die „Freiheitlichen“ im Kabinett des konservativen ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz.
Burschenschaftler bejubeln den Holocaust
Seit der Amtsübernahme der „türkis-blauen“ Regierung steht die rechtspopulistische Partei unter verstärkter Beobachtung – was ihren Vertretern nicht immer gut bekommt. Zum Beispiel: Udo Landbauer, der Ende Januar als FPÖ-Spitzenkandidat bei der niederösterreichischen Landtagswahl antrat.
Vor der Wahl hatte die Zeitschrift „Falter“ aufgedeckt, dass in Landbauers Studentenverbindung – der Burschenschaft „Germania“ – antisemitische Lieder gesungen werden. „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million", heißt es in einem der Texte in Anspielung auf die im Holocaust ermordeten sechs Millionen Juden. Die FPÖ konnte mit dem Spitzenkandidaten Landbauer ihr Wahlergebnis in Niederösterreich dennoch auf rund 15 Prozent der Stimmen verdoppeln.
Innenminister will Asylbewerber „konzentriert“ festhalten
Allerdings geriet Landbauer wegen der Mitgliedschaft in der Studentenverbindung unter großen öffentlichen Druck, auch wenn einige Mitglieder der ÖVP/FPÖ-Regierung ihm noch öffentlich den Rücken stärkten. Schließlich nahm er aber sein Amt als Landtagsabgeordneter nicht an. Landbauers FPÖ-Mitgliedschaft ruht seit kurzem.
Zugleich sah sich sein Parteichef, Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache, nach dem Skandal um das Nazi-Liederbuch zu einer öffentlichen Distanzierung von Rassismus und Antisemitismus gezwungen – was ihm einen Shitstorm seiner Fans auf Facebook bescherte. Kein Wunder: Sie sind anderes gewohnt von der FPÖ. Eigentlich kommen von den Rechten eher Sprüche wie vom aktuellen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, der Asylbewerber „konzentriert an einem Ort“ inhaftieren möchte – und damit wohl nicht zufällig Erinnerungen ans Dritte Reich weckt.
Nazi-Vergangengheit – „Jugendsünden“?
Seitdem die FPÖ in Wien mitregiert, reißen Meldungen über solche „braunen Ausrutscher“ nicht ab. So fallen immer wieder FPÖ-Mitglieder mit Nazi-Propaganda auf. Zum Beispiel ein Funktionär aus dem Salzburger Land, der mit dem Wunschnummernschild „88“ – Szene-Code für „Heil Hitler“ – herumfährt. Auch werden FPÖler immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt, wie der Niederösterreicher Andreas Bors, den seine Partei ins Parlament schicken wollte: Ein Foto zeigt ihn bei einer Silvesterfeier mit dem rechten Arm zum Hitlergruß erhoben. Ähnliche Bilder gibt es auch von Vize-Kanzler Strache. Sie zeigen ihn als jungen Mann im Kampfanzug. Strache war in den 1980er Jahren in der militanten Nazi-Szene aktiv, nahm an „Wehrsportübungen“ teil. „Jugendsünden“, sagt er heute. Der politischen Karriere geschadet hat es nicht.
Die österreichische Presse gräbt derzeit immer neue solcher Geschichten aus. „Einzelfälle“ nennt sie der linksliberale „Standard“ ironisch. Aus journalistischer Sicht bietet die „türkis-blaue“ Regierung also jede Menge Stoff. Allerdings geraten Medienschaffende auch zunehmend unter Druck in Österreich. Die FPÖ-nahen Medien machen massiv Stimmung gegen Redakteure linker und liberaler Blätter. Der freiheitliche Verkehrsminister Norbert Hofer schlägt die Abschaffung der Rundfunkgebühren vor, weil der öffentlich-rechtliche ORF angeblich nicht angemessen über ihn berichte.
Sozialdemokraten auf Rechtskurs
Die österreichischen Sozialdemokraten scheinen indes nicht so recht zu wissen, wie sie nach vielen Jahren Regierungsarbeit ihre neue Oppositionsrolle ausfüllen sollen. Pflichtbewusst kritisieren sie das Programm der „türkis-blauen“ Koalition, klagen über „Sozialabbau“ und „Schwächung von Arbeitnehmerrechten“.
Doch die Sache hat einen zusätzlichen Dreh: Ausgerechtet FPÖ und ÖVP haben vor kurzem angekündigt, in Zukunft mehr ausländische Arbeitnehmer ins Land zu holen. Der ehemalige SPÖ-Kanzler Christian Kern und Teile seiner Partei üben scharfe Kritik an dieser Erhöhung der „Zuwandererquote“. Der Sozialdemokrat Hans Peter Doskozil wirft der rechts-konservativen Regierung sogar vor, „zu wenige Abschiebungen“ zu veranlassen. Die SPÖ muss sich deshalb den Vorwurf anhören, die FPÖ rechts überholen zu wollen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher schien das Mitte Januar zu bestätigen, als er ausgerechnet den 2008 verstorbenen Rechtspopulisten Jörg Haider vollmundig lobte. Der habe seinerzeit die „deutschtümelnden Burschenschafter“ in der FPÖ noch unter Kontrolle gehalten und die Interessen der Arbeiter stets im Blick gehabt. „Die Wahrheit ist“, sagte Lercher, „dass Jörg Haider heute wahrscheinlich SPÖ wählen würde.“
Die politischen Verhältnisse scheinen Kopf zu stehen, seitdem in Österreich die Rechtspopulisten mitregieren.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.