Razzia in Brüssel: Warum der Thüringer CDU-Chef für Aufregung sorgt
IMAGO/Jacob Schröter
Gegen neun Uhr morgens am 4. März fuhren Fahnder*innen der belgischen Police Fédéral in der Rue du Commerce Nr. 10 im Brüsseler EU-Viertel vor, dem Sitz der konservativen EVP, der derzeit größten Fraktion im Europaparlament. Die belgische Polizei überprüfte dabei diverse Computer und stellte Dokumente sicher, die im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen während des EU-Wahlkampfs 2019 stehen, darunter Rechnungen und auch handschriftliche Papiere.
Amtshilfe für Erfurt
Ihre Ermittlungen waren dabei wohlgemerkt nicht gegen Mitarbeiter*innen der EVP gerichtet – bislang zumindest. Die Razzia diente ausschließlich der Beweismittelsicherung im Verfahren gegen Mario Voigt. Die gesamte Brüsseler Aktion war ein Amtshilfeverfahren, dass auf einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Erfurt fußt. Deshalb waren auch Beamt*innen des LKA Thüringen vor Ort. Die ermitteln seit September 2022 gegen Voigt wegen des Verdachts „der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr“.
Mario Voigt ist ein vielbeschäftigter Mann, auch abseits seiner Rolle als Partei- und Fraktionschef der CDU Thüringen. Er ist daneben nicht nur Aufsichtsrats-Vorsitzender des Fußball-Regionalligisten FC Carl Zeiss Jena, als weitere bezahlte Tätigkeiten gibt er ganz offiziell an: erstens Leiter der Unternehmens-kommunikation und Investor Relations Analytik Jena AG zu sein, zweitens Berater der Blueberry Consulting GbR, drittens Beratung, Mario Voigt Consulting UG und schließlich viertens eine Professur für Digitale Transformation und Politik an der Quadriga Hochschule in Berlin.
Weber holte Voigt nach Brüssel
Es muss wohl letzterer Job sein, der Manfred Weber auf den umtriebigen Thüringer aufmerksam gemacht hat. Denn es war Manfred Weber, der 2019 den damals nicht sonderlich bekannten CDU-Landtagsabgeordneten Mario Voigt nach Brüssel holte. Der Europawahlkampf stand Spitz auf Knopf, Weber wollte unbedingt EU-Kommissionspräsident werden, und dafür brauchte er einen Profi für die digitale Wahlkampagne der EVP.
Webers direkte Beteiligung ist zwar nicht belegt, die Bestallung Voigts ist von Udo Zolleis gezeichnet, dem Leiter der Strategieabteilung der EVP, der allerdings auch schon 2019 Webers rechte Hand gewesen ist. Doch aus EVP-Kreisen heißt es, nichts habe im Wahlkampf ohne Webers ausdrückliche Billigung geschehen können. Voigt scheint Webers Mann gewesen zu sein.
Korruptionsverdacht gegen Thüringer CDU-Chef
So weit, so normal am Ende. Dumm nur, dass Voigt nun im Verdacht steht, bei der Organisation des Internetwahlkampfes auch in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Es geht um die Auftragsvergabe an eine Jenaer Internetagentur, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannes Grünseisen. Dem Vernehmen nach geht es um einen Auftrag in Höhe von 300.000 Euro. Mario Voigt, so mutmaßt die Staatsanwaltschaft Erfurt, soll Geld von eben diesem Unternehmen angewiesen bekommen haben, und zwar nachdem die Firma den Auftrag für den Internetwahlkampf der EVP erhalten hatte. Insofern prüft die Staatsanwaltschaft nun Voigts gesamte Tätigkeit für die EVP, ihre Dauer, ihren Umfang und die Höhe der Vergütungen.
Die EVP hat die Razzia belgischer und deutscher Polizist*innen auf ihrer Website bestätigt: „Die Partei kooperiert in voller Transparenz mit den beteiligten Behörden und stellt alle relevanten Informationen und Unterlagen zur Verfügung“, heißt es da. Mario Voigt beteuert seine Unschuld und weist sämtliche Vorwürfe weit von sich. Der Thüringer Landtag hat aber bereits im September des vergangenen Jahres seine Immunität aufgehoben. Und im Oktober wurden auch in Thüringen Räumlichkeiten des CDU-Politikers durchsucht.
Große Frustration in der EVP-Familie
Bislang ist kein schuldhaftes Verhalten belegt – das soll hier ausdrücklich gesagt sein. Weder von Voigt noch von Weber. Aber die Frustration in der EVP-Familie ist in unterschiedlichen Ländern ziemlich groß, vor allem, weil schon kommendes Jahr die nächsten Wahlen zum EU-Parlament anstehen.
Der Ärger ist so groß, dass eine Präsidiumssitzung der EVP – die eigentlich diese Woche in Warschau angesetzt war, abgesagt worden ist. Es geht um Schadensbegrenzung, in Polen und in Brüssel. In Polen versucht die PIS-Regierung mit zum Teil kontrafaktischen Behauptungen, eine Beteiligung von Oppositionsführer Donald Tusk in die Affäre zu konstruieren. In Brüssel steht vor allem Manfred Weber unter Druck.
von der Leyen oder Weber?
Der rechnet sich weiterhin Chancen aus, auch 2024 wieder zum Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen gekürt zu werden, um dann vielleicht im zweiten Anlauf Kommissionspräsident werden zu können. Dagegen gibt es allerdings reichlich Widerstand.
Manch konservative Partei fragt lediglich ganz pragmatisch, warum eine nicht unerfolgreiche Präsidentin ablösen, wenn das nicht zwingend erforderlich ist. Andere kritisieren einen autokratischen Führungsstil des CSU-Mannes Weber und dritte haben weitergehende inhaltliche Probleme mit ihm, vor allem mit seiner Annäherung an die rechtsradikale Fratelli d’Italia, die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. So oder so, die Razzia in Brüssel ist wahrlich keine Unterstützung für Manfred Weber.